Trend Watch Van Life: Urlaub im Wohnmobil
#vanlife: Warum wir jetzt wieder mit dem Wohnmobil verreisen
7. Juli 2023
14,3 Millionen Einträge auf Instagram können nicht lügen: #vanlife ist mehr als ein kurzlebiger Trend, der die Millennials erfasst hat. Im Wohnmobil unterwegs zu sein hat eine lange Tradition, die noch vor der Motorisierung begann. Johann Wolfgang von Goethe war bereits Camper – für seine Italienreisen ließ er eine Kutsche mit Bett und Leselampe ausbauen. Einen hölzernen Sekretär für Notizen und einen kleinen Ofen hatte er auch.
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1931 entstand dann das erste offizielle Wohnmobil – und das war einer Frau zu verdanken. Die Malerin Fridel Dethleffs-Edelmann aus dem Allgäu wünschte sich von ihrem Mann einen Wagen, um ihn auf Geschäftsreisen begleiten zu können. Ihr sogenanntes „Wohnauto“ hatte drei Schlafplätze und diente auch als fahrendes Atelier (inklusive Waschmaschine). Bald schon trudelten Bestellungen von Kunden ein, das praktische und familienfreundliche Gefährt ging modifiziert in Serie.
Camping auf Rädern wurde ab den 1950er-Jahren zu einem Synonym für Freiheit. Die Zeit des Wirtschaftswunders schürte das Fernweh, ein Urlaub am Meer war für viele der Höhepunkt des Jahres. Mit einem Wohnwagen war man unabhängig – damals gab es kein Internet, Hotelbuchungen waren aus heutiger Sicht ein Glücksspiel. Bei einem Camper wusste man, was man hat: sein eigenes kleines Reich auf vier Rädern.
Hippie Lebensgefühl
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In den 1970ern wurde der VW-Bus dann zum Symbol einer ganzen Ära. Die Hippies bemalten ihn mit „Atomkraft? Nein, danke!“-Slogans, der Kreativität waren keine Grenzen gesetzt. Durch die Flower-Power Bewegung wurde aus dem funktionalen Gefährt ein individuelles, kreatives und politisches Statement. Born to be free: Das neue Lebensgefühl sollte sich in Kleidung, Frisur, aber auch im Freizeit- und Reiseverhalten ausdrücken. Naturnähe, Unabhängigkeit und ein Hauch Romantik – rollende Wochenendhäuser vereinten all das.
Der Campingplatz wurde aufgerüstet: Es gab nun ausgebaute Sanitärräume und Stromanschluss. Im Zuge dieser Entwicklung wurde aber aus dem großen Traum von Freiheit vielerorts eine Schrebergartenidylle: Unter Gleichgesinnten grillte man Würstchen wie daheim. Für jüngere Menschen wurde das Wohnmobil zum Sinnbild für ein festgefahrenes Leben.
Natur als Energiequelle
Ab den 1990ern waren Campen und Wandern absolut out. Die Generation Rave hatte mit den spießigen Wohnmobil-Urlauben ihrer Eltern nichts am Hut. Warum #vanlife nun doch wieder der Traum vieler Millennials ist, hat nicht nur mit der Pandemie zu tun; Entschleunigung liegt schon länger wieder im Trend. Die Natur wurde als Energiequelle wiederentdeckt, Reisen werden zunehmend individueller. Gerade junge Menschen haben keine Lust auf Massentourismus, sie wollen länger, aber auch flexibler unterwegs sein. Monotoner Büroalltag war gestern. Digitale Nomaden arbeiten, wo es ihnen gefällt.
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Noch nie war unser Planet so gut vernetzt und zugänglich – Google Maps zeigt auch die entlegensten Ecken. Wer möchte, kann auf Knopfdruck eine Woche in Südkorea buchen oder in Nordnorwegen Rentiere hüten. Reisende möchten keine ausgetretenen Pfade, sondern etwas Besonderes erleben und sich Erinnerungen für die Ewigkeit schaffen. Die moderne Version des Wohnmobils steht für Easy-Rider-Feeling: Man schläft, wo man Lust hat – und sich eine gute Aussicht bietet. Das fahrende Mikro-Haus verbindet Komfort und Abenteuer. Man fühlt sich frei, ist aber dank WLAN fast überall mit der Welt verbunden. #vanlife ist Aussteigen, aber mit Sicherheitsnetz.
Der Weg ist das Ziel
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Für viele, die im Camper-Van reisen und das in den sozialen Medien dokumentieren, ist es mehr als ein Urlaub. Es ist ein Lebensgefühl. Sie wollen aus dem Hamsterrad ihrer Jobs ausbrechen, und entscheiden von Tag zu Tag, wohin es gehen soll. Der Weg ist das Ziel. Sie möchten möglichst authentisch fremde Kulturen und Länder kennenlernen, sich auf das Wesentliche besinnen – obwohl mittlerweile viele Wohnwägen längst High-End-Mobile sind.
Die Firma Furrion etwa hat Camping auf ein neues Level gehoben: Ihr Luxus-Van „Elysium“, der allerdings nie in Serie ging, hat Dampfbad, Whirlpool und sogar einen Hubschrauberlandeplatz samt integriertem Helikopter auf dem Dach. Aber auch so werden viele Vans den Tiny Houses immer ähnlicher. Klein, aber oho – mit Klimaanlage, Dusche, Backrohr, Weinkühlschrank, Schlafplatz mit Blick auf die Sterne, perfektem Soundsystem und Touchscreens. #vanlife ist für viele, den eigenen Wohnwagen individuell auszustatten; schließlich bedeutet Luxus für jeden etwas anderes.
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Die Zahlen sprechen für sich: Zwischen 2015 und 2020 sind die Neuzulassungen von Wohnwägen in Deutschland um 50 Prozent gestiegen, in der Schweiz gab es 2020 eine Zunahme von 26 Prozent. In Österreich verzeichneten Campingplätze 2021 einen Zuwachs von sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr. Kärnten ist die gefragteste Campingregion; die Zulassungen von Wohnmobilen und Wohnwägen sind um sechs Prozent gestiegen.
Die Anschaffung eines Vans ist teuer. Um das Abenteuer der eigenen vier Wände auf Rädern auszuprobieren, ist Mieten eine gängige Option. Das Unternehmen Paul Camper etwa funktioniert nach dem Prinzip Airbnb – man mietet einen Wagen von einer Privatperson. Indie Campers agiert an 70 Orten in Europa, man kann das Wohnmobil in einem anderen Land abgeben als am Startplatz. Roadsurfer in Kalifornien wiederum hat sich auf kultige VW Campervans spezialisiert, ist aber auch in Europa aktiv.
Surfen inklusive
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Auf Instagram sind viele professionelle Vanlifer unterwegs, die praktische Tipps geben, aber auch Reiseführer haben sich auf die neue Klientel eingespielt. So hat Lonely Planet 2021 einen eigenen Guide für „Legendäre Roadtrips“ herausgebracht. Der Highway 101 in Kalifornien ist ideal für alle, die den American Dream erleben wollen, Schottland-Fans wiederum schätzen die North Coast 500 durchs Hochland (allerdings sollte bedenken, dass es hier tagelang schütten kann). Auch in Namibia lässt sich’s gut mit dem Wohnmobil reisen – aber eine gute Planung ist unerlässlich, um nicht irgendwo in der Wüste zu stranden. Wer es gern kühler hat, der sollte Kanada auf dem Radar haben: Der Icefields Parkway ist eine Panoramastraße, die von Wasserfällen zu imposanten Gletschern führt. Und ganz neu: In Saudi-Arabien kann man in Al-Ula inmitten von faszinierendem Sandstein übernachten, der Himmel über der Wüste ist unglaublich.
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Frühstück im Weinberg
Apps sind unverzichtbar, wenn man eine Wohnmobilreise antritt und wild campen möchte, ohne sich bei den Einheimischen unbeliebt zu machen: Zertrampelte Felder oder zugestellte Wege erschweren Landwirten die Arbeit. Auch Respekt vor der Umwelt sollte man mitbringen. Das bedeutet nicht nur, dass man keinen Müll zurücklässt oder nirgends Feuer macht, wo es zu Waldbränden kommen kann. Dazu zählt auch Duschgel, das aus natürlichen Zutaten besteht, sowie abbaubares Waschmittel.
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„iOverlander“ ist eine Community-getriebene App, auf der man nicht nur Stellplätze finden kann, sondern auch, wo Wasserauffüllstationen und E-Ladestationen sind; die Webseite womo-stellplatz.eu ist auf Europa beschränkt, nomady.ch zeigt die schönsten Natur-Stellplätze – und die deutsche Seite Alpaca Camping listet zudem auf, welche Weingüter, Bauernhöfe oder Privatleute offen für Vans sind, viele bieten auch ein herzhaftes Frühstück an. So ist allen geholfen: den Abenteurern und den lokalen Bewohnern, die nicht mehr den Müll von achtlosen Selbstversorgern wegräumen müssen.
Dieser Artikel erschien in der Falstaff TRAVEL Ausgabe Frühling 2023.