The Future is now
Mit der Virtual-Reality-Brille ins Metaverse oder doch lieber in ein reales Hotel, das aussieht, als wäre es aus einem Science-Fiction-Film? Die Zukunft des Reisens wird sich durch die Digitalisierung massiv verändern – ein großes Abenteuer, das längst begonnen hat.
3. Juni 2022
Die Pandemie hielt die Silvesterlaune in Geiselhaft, an ein rauschendes Fest und ein gigantisches Feuerwerk war nicht zu denken – wäre da nicht ein amerikanisches Immobilienunternehmen gewesen, das mit einem ungewöhnlichen Event warb. Lust auf eine Party am New Yorker Times Square, und zwar bequem von zu Hause aus? Auf der Metaverse-Plattform Decentraland wurde der berühmte Platz virtuell nachgebaut. Mit einem VIP-Pass konnten Besucher das Feuerwerk sogar aus einer Wolkenkratzerlounge beobachten und mit anderen Avataren aus aller Welt das neue Jahr begrüßen.
Der Haken daran: All die unterschiedlichen Metaverse-Plattformen, die es bislang gibt, erinnern an Computerspiele aus den 90er- Jahren. Die Avatare sind allesamt Comicfiguren – mit ausgeklügelter virtueller Realität hat das wenig zu tun. Es wirkt noch immer wie Second Life, der berühmte Online-3D-Kosmos, der 2003 für Aufsehen sorgte. Grundstücke werden im Metaverse trotzdem um Rekordsummen gehandelt, jeder möchte bei dem Hype dabei sein. Es wird allerdings noch einige Jahre dauern, bis die Ergebnisse zufriedenstellend sind und man tatsächlich das Gefühl hat, in eine Welt einzutauchen, die sich faszinierend real anfühlt.
Gaming-Paradies: Im „Atari Hotel“ in Las Vegas soll es auch auf dem Zimmer unterschiedliche Konsolen und Spielsysteme geben. ©Gensler
KOREA MACHT SEINE STÄDTE VIRTUELL
Tourismusexperten prophezeien dem Metaverse aber schon jetzt eine große Zukunft: Man wird damit virtuell ins All reisen können, in eine ferne Vergangenheit oder einfach an reale Hotspots, die überlaufen sind; oder man plant seinen nächsten Städtetrip virtuell, überprüft, was einem gefällt und was man wirklich sehen möchte. Länder wie Korea bereiten sich auf diesen Metaverse-Tourismus bereits vor – sie virtualisieren gerade ganze Städte. „Eine Möglichkeit sind virtuelle Besuche in Naturschutzgebieten oder Ökosystemen, die sehr sensibel sind und in Wirklichkeit nur eine begrenzte Anzahl von Besuchern verkraften. Diese könnten durch virtuelle Nachbildungen geschützt werden“, sagt der deutsche Tourismusexperte Armin Brysch.
Die berühmte Ruinenstadt Machu Picchu in Peru ist ständig überlaufen – im Metaverse könnte man sie ohne massenhaften Andrang besuchen. Oder man bucht eine Expedition in die Vergangenheit, wie sie der deutsche Anbieter Timeride bereits im Sortiment hat: Mittels Virtual-Reality-Brille kann man sogar mit dem Pfauenwagen des Bayernkönigs Ludwig II. unterwegs sein oder mit dem Heißluftballon über die Alpen schweben. Wer im realen Leben Höhenangst hat, kann diese im Metaverse überwinden, auf Berge klettern oder in Höhlen steigen; Menschen mit Gehbehinderung können durch den Dschungel wandern. So weit, so vielversprechend.
Reise auf dem Sofa: Überlaufene Touristenattraktionen lassen sich in der virtuellen Realität viel entspannter besuchen. ©Shutterstock
HOTELS WIE AUS SCI-FI-FILMEN
Aber wenn wir ehrlich sind, stehen diese technischen Möglichkeiten gerade nicht ganz oben auf unserer Todo-Liste. Nach diversen Lockdowns und unzähligen Zoom-Meetings wollen wir wieder möglichst viel real erleben. Reisen ist momentan noch mehr als sonst ein großes Abenteuer, die weite Welt lockt. Man möchte raus aus den eigenen vier Wänden, und zwar nicht nur virtuell. Zu entdecken gibt es ohnehin genug schräge Hotels, die aussehen wie aus einem Science-Fiction-Film. Im „Yotel New York“ am echten Times Square bringt ein Roboter das Gepäck aufs Zimmer und übernimmt Conciergedienste. The Yobot, so heißt der nicht humane Helfer, kann über 200 Kilo schleppen, man muss also auch kein schlechtes Gewissen haben, wenn man den Koffer übervoll gepackt hat.
DINOSAURIER HELFEN BEIM EINCHECKEN
Checkt man in Japan im „Henn na Hotel“ ein, begrüßt einen ein Tyrannosaurus Rex, oder man landet bei einer Hotelangestellten, die zwar wie ein Mensch aussieht, aber ein künstliches Wesen ist. Dieses Hotel ist ein großer Abenteuerspielplatz für Technikfans – zumindest theoretisch, denn das Konzept des 2015 eröffneten Hauses ist bisher noch nicht so richtig aufgegangen. 2019 ließ man die Hälfte der 243 Roboter stilllegen, sie verursachten nämlich mehr Arbeit, als sie den menschlichen Angestellten abgenommen haben: Roboter haben auf Schnarchgeräusche reagiert, weil sie diese für Wörter gehalten haben, und dabei Gäste aufgeweckt.
Auch der Concierge wurde ausgemustert, weil er Fragen zu Flugverbindungen und Touristenattraktionen nicht beantworten konnte. Und der Dino-Roboter brauchte immer menschliche Hilfe, wenn er bei ausländischen Gästen die Pässe einscannen musste. Trotz all dieser Pannen: Aufzuhalten ist die Digitalisierung nicht. In Japan sollen demnächst Roboter menschliche Lieferdienste ersetzen. Die kleinen, automatisch fahrenden Food-Lieferanten sind so etwas wie das Essen auf Rädern der Zukunft.
CYPERPUNK-DYSTOPIE
Hotels werden heute zielgruppenspezifischer; auch, um sich von der Konkurrenz abzusetzen. Das „Atari Hotel“ (der Bau sieht aus wie das Firmenlogo) in Las Vegas möchte in diesem Jahr eröffnen und mit dem faden Einerlei aus einarmigen Banditen und Casinos in der Glücksspielmetropole Schluss machen. Für Gaming-Freunde soll es auf den Zimmern Konsolen und Spielsysteme geben. Man verspricht eine „Mischung aus Cyberpunk-Dystopie und 80er-Jahre-Low-Bit-Nostalgie“. Die Zukunft bemerkt man oft an Kleinigkeiten.
In einigen Hotels oder Airbnbs gibt es keine Schlüssel mehr, man öffnet die Zimmertür mit dem Handy. Das Hotel „Nhow“ in Berlin wiederum rüstet auf, um Urlaub und Inspiration zu verbinden – Europas erstes Musikhotel liegt an der Spree und wurde vom New Yorker Designer Karim Rashid entworfen. Es gibt hauseigene Tonstudios mit Blick über die Stadt und einen kostenlosen Instrumente-Roomservice. Wer gerade eine Melodie im Kopf hat, kann sich Gitarren, Keyboards oder Bluetooth-Lautsprecher aufs Zimmer bringen lassen und sofort drauflosimprovisieren.
Probe- und Tonräume: Das Hotel „Nhow“ in Berlin sieht nicht nur spacig aus, sondern hat auch einen Instrumente-Roomservice. ©Cem Guenes
DIGITALES ANGEBOT
Die Zahlen sprechen dafür, dass sich viele Urlauber wünschen, ein größeres digitales Angebot zu haben. Laut Bitkom Research kommt die Inspiration für jede vierte Reise aus dem Netz, sieben von zehn Befragten würden sich im Reisebüro gerne 360-Grad-Bilder ihres Reiseziels auf einem Bildschirm ansehen. Auch Virtual-Reality-Brillen, um das Urlaubsziel schon vorab realitätsnah erleben zu können, würden mehr als die Hälfte (51 Prozent) nutzen; 46 Prozent bekämen gerne bereits im Flugzeug reiserelevante Daten zum Urlaubsziel auf das Smartphone gespielt.
Mit Blick auf die Zukunft sagen sieben von zehn Befragten, dass sie Smart-Home-Technologien im Hotel wollen, etwa dass der Hotelservice automatisch erkennt, ob man im Zimmer ist oder nicht. Nur Roboter sind nicht beliebt: Nur 24 Prozent wären bereit, Empfang und Check-in einer artifiziellen Intelligenz zu überlassen – auch wenn das möglicherweise die Wartezeiten verkürzen würde. Wenn etwas bei einem Menschen nicht funktioniert, ist man eben toleranter, als wenn eine Maschine ins Stocken gerät.
Dieser Artikel erschien in der Falstaff TRAVEL Ausgabe Frühling 2022.