Schnee von Morgen
Selbstfahrende Gondeltaxis, Apps, die über die Länge der Warteschlange vor den Liften informieren, und Klimaschutzprojekte, die das Schmelzen der Gletscher hinauszögern sollen – die Zukunft des Wintersports ist digital, die Veränderungen sind einschneidend.
17. Dezember 2021
Als ob vier fliegende Untertassen auf überdimensionalen Balancierstäben gelandet wären und am unteren Ende eine Reihe von Skifahrern ausspucken: So stellt man sich im weißrussischen Lahojsk das All-Year-Skiresort von morgen vor. Und auch im Fürstentum Andorra in den Pyrenäen ähnelt die Piste – ein verschneiter Hügel, der kreisrunde Einblicke in die darunterliegenden Geschäftslokale freigibt – der Kulisse aus einem Science-Fiction-Film. Soweit zumindest die Pläne von visionären Gestaltern: viel Glas, viel Licht, viele runde Flächen – aber immer weniger Schnee. Unsere Enkel bzw. Urenkel werden entweder in Hallen oder auf über 1.500 Höhenmetern ihre ersten Schwünge absolvieren, da sind sich Klimaexpertenund Trendforscher einig.
Innovationen in den Skiregionen
Dieser Tatsache ist man sich auch in der für ihre Vorreiterstellung bekannten Tourismusdestination Flims Laax Falera (hier werden Onlinebuchungen bereits seit den 90er-Jahren durchgeführt) bewusst. Zuletzt machten die Schweizer durch die Einführung des „Last Day Pass“ als Klimaschutzprojekt von sich reden: Der symbolische Skipass ist eine Keycard aus Holz, die Gäste für rund 75 Euro kaufen können. Auf der Karte ist der 5. April 2056 als der letzte Tag festgelegt, an dem man auf dem Schweizer Vorabgletscher Ski fahren wird können. Der Erlös aus dem Verkauf finanziert eine Kompensation von CO2 und ermöglicht damit die Verschiebung des Zeitpunkts nach hinten. „Aufgrund der Klimaerwärmung wird die Schneefallgrenze immer weiter hinaufwandern. Mit dem Last Day Pass sensibilisieren wir unsere Gäste dafür, auch wenn wir den Klimawandel dadurch natürlich nicht aufhalten können“, erklärt Pressesprecherin Martina Calonder. Auch weitere Wintersportregionen thematisieren Klimaaspekte und werben mit Alternativen zum Skifahren, etwa Langlaufen, Schlittenfahren oder Winterwandern. Am Mieminger Plateau in Tirol wurden schon vor Jahren alle Lifte abgebaut; hier hat man sich für „sanften Wintertourismus“ entschieden. Ischgl wiederum sieht sich als „größtes klimaneutrales Skigebiet“: Der Kohlendioxidausstoß der Bergbahnen wird durch ein Aufforstungsprogramm ausgeglichen, der Strom kommt aus erneuerbaren Energien.
©Melanie Uhkötter
Angesprochen auf die Frage, ob der Wintersport in nächster Zeit neu erfunden wird, antwortet Prof. Peter Zellmann, Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung in Wien: „Der Skisport ist aktuell für 80 Prozent der Wintergäste unersetzbar. Auch in zehn Jahren wird das nicht anders sein. Es finden sich jedoch zunehmend andere Wintersportaktivitäten im Angebot – nicht, um den Skilauf zu ersetzen, sondern nur, um ihn zu ergänzen.“ Auch auf der Sportgeräte-Seite sieht Zellmann keine bahnbrechenden Erfindungen auf uns zukommen: „Der Carvingski mit seiner geringen Höhe und der starken Taillierung ermöglicht Neulingen ein einfaches Erlernen des Skisports – diese Entwicklung war mit Sicherheit der Höhepunkt aller technischen Innovationen in diesem Bereich.“
Virtuelle Realität - Die eigene Abfahrt mit der Kamera festhalten oder die Geschwindigkeit überprüfen: Das geht schon bald mit der Augmented-Reality-Skibrille von Ride On. ©iStock/Adam Höglund
Das Hotelzimmer als Cyberspace
Aber wie realistisch sind Zukunftsszenarien, wonach wir künftig im Skiurlaub im Hotelzimmer in einen intelligenten Spiegel blicken werden, welcher unsere Ausrüstung in den Skikeller ordert, die Busverbindung zur nächsten Seilbahn raussucht und die Lifttickets reserviert? Experte Zellmann meint: „Im Bereich der Digitalisierung wird es ständige Verbesserungen geben, aber keine alles umwälzenden Veränderungen.“ Die Digitalisierung werde auch nicht den Menschen im Dienstleistungsbereich ersetzen, sondern spiele ihn lediglich frei für andere Aufgaben und bringe Mitarbeitern mehr Zeit für die Gäste. Apropos Digitalisierung: Für die „Inside Laax“- App in Flims Laax Falera regnete es Auszeichnungen. Mit der App kann man sehen, an welchem Skilift gerade die wenigsten Leute anstehen oder wie man am schnellsten zum Klettersteig gelangt. Der Gast kann per Klick Leistungen reservieren, etwa den Parkplatz oder den Tisch im Bergrestaurant. Aktuell arbeitet man in Flims Laax Falera bereits am nächsten großen Ding: Auf der neuen Bergbahn werden als Weltpremiere sogenannte E-Ropetaxis fahren. Dadurch wird es möglich, dass die Skifahrer bereits bei Fahrtantritt ihr gewünschtes Ziel auswählen, welches die Gondel automatisch ansteuert. Bis 2023 soll dieses Projekt der Superlative fertiggestellt sein – eine Technologie, die eine absolute Neuheit in der Seilbahnbranche darstellen wird.
©Triol Werbung/Foto Müller
What's Next?
Wie wirkt sich die Pandemie auf die kommende Wintersaison aus? Welche Veränderungen erfährt der Tourismus durch Covid-19? Und welche gesellschaftlichen Auswirkungen zeigen sich längerfristig? Eine Prognose:
Konkrete Maßnahmen Winter 2021/22
Laut Stand zu Redaktionsschluss (November 2021) ist in Österreich in Seilbahnen, Gastronomie und Beherbergung sowie auf Adventsmärkten und bei Zusammenkünften ab 25 Personen, etwa beim Après-Ski, ein 2G-Nachweis gemäß dem Prinzip „Geimpft oder genesen“ sowie das Tragen einer FFP2-Maske erforderlich. In Italien müssen alle Wintersportler über zwölf Jahren die Einhaltung der 3G-Regel in Form des digitalen Covid-Zertifikats der EU („Grüner Pass“) nachweisen. Fahrgäste müssen ab einem Alter von sechs Jahren eine Maske tragen. Bei der Einreise ist ein 3G-Nachweis bereits ab sechs Jahren notwendig. In der Schweiz herrscht in allen geschlossenen Berg-, Seil- und Sesselbahnen sowie Skiliften und in geschlossenen Stationsgebäuden, Wartezonen und Liftkarten Verkaufsstellen Maskenpflicht. Ein 3G-Nachweis ist hier aktuell nur für Menschen über 16 Jahren nötig, die sich in Innenbereichen der Gastronomie aufhalten wollen.
Veränderungsreisekultur bis 2030
„In der Post-Corona-Zeit wird zunächst der regionale Tourismus an Attraktivität gewinnen. Kurze Wege und Naherholung vermitteln ein Gefühl der Sicherheit – ebenso, wie vertraute Kulturkreise emotionale Sicherheit versprechen“, schreibt Anja Kirig vom Zukunftsinstitut. Und sie führt fort: „Die neue Reisekultur nach Corona wird insbesondere den Massentourismus verändern, in Teilen sogar vernichten. Reiseziele werden bewusster und achtsamer gewählt.“
Gesellschaftliche Trends bis 2050
„Die Maßnahmen zur Coronapandemie haben eine Entwicklung verstärkt, die vorher schon im Gange war – etwa dass die Bedeutung von Zeit für sich und die Familie steigt“, sagt Peter Zellmann, Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung in Wien. „Aspekte wie Umweltschutz und Naturverbundenheit waren bislang circa 20 Prozent der Gäste wichtig, in 25 Jahren werden sie wahrscheinlich für bis zu 80 Prozent entscheidend sein – auch bei der Wahl des Urlaubsziels. Das Ressourcen- und Umweltbewusstsein wird steigen, aber langsam und nicht von heute auf morgen.“
Dieser Artikel erschien in der Falstaff TRAVEL Ausgabe Winter 2021/22.