Ist das Metaverse wirklich das Reiseziel der Zukunft?
Werden wir schon bald im Metaverse Urlaub machen? Oder ist das bloß ein abgehobener Traum von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg?
14. Januar 2023
Zukunftsprognosen sind so eine Sache – man macht sich schnell lächerlich, zumindest retrospektiv betrachtet. Noch steckt das Projekt in den Kinderschuhen, aber Unternehmen nehmen viel Geld in die Hand, um die virtuelle Realität voranzutreiben. „500 US-Dollar? Das ist das teuerste Telefon der Welt, und es spricht Business-Nutzer überhaupt nicht an, weil es keine Tastatur hat“, meinte Microsoft-Chef Steve Ballmer, als 2007 das erste iPhone vorgestellt wurde. Ein folgenschwerer Irrtum: Heute gilt das Smartphone als Meilenstein in der Technikgeschichte. Damals setzten jedoch viele auf den Platzhirsch Blackberry, der schon seit gut zehn Jahren auf dem Markt gewesen war und mit breiter Tastatur als Zukunft des Mobiltelefons galt.
Mit dem Metaverse, das gerade in aller Munde ist, verhält es sich ähnlich. Noch weiß niemand, wie es wirklich aussehen wird, welche Visionen sich durchsetzen und das Potenzial haben werden, massentauglich zu sein. Bisher gibt es nämlich nur verschiedene Ideen für eine virtuelle Parallelwelt, in der wir in Zukunft arbeiten, kommunizieren, einkaufen und unsere Freizeit verbringen werden. Gerade in der Pandemie klang das sehr verlockend: Trotz Homeoffice überall hinreisen zu können, andere Menschen zumindest als Avatar treffen und gemeinsam auf Konzerte gehen zu können; zumindest virtuell ans Meer fahren zu können. Die Pandemie erzeugte eine digitale Zukunftsbegeisterung. Viele beschäftigten sich erstmals mit Kryptowährungen, die im Metaverse als Zahlungsmittel genutzt werden. Man staunte über die wahnwitzigen Preise der NFT-Affenbilder des Bored Ape Yacht Clubs, die zu einem Statussymbol avancierten, und war geschockt, welche Summen für ein virtuelles Grundstück neben dem des US-Rappers Snoop Dogg im Sandbox-Metaversum hingeblättert wurden (500.000 US-Dollar). Der öffentliche Gemütszustand schwankte zwischen Skepsis und Goldgräberstimmung, zwischen totaler Ablehnung und der Hoffnung, viel Geld zu verdienen, wenn man möglichst früh einsteigt. In der neuen dreidimensionalen, digitalen Erlebniswelt wird es nämlich möglich sein, Grundstücke, Häuser, Sneakers, Mode und NFT-Kunst zu kaufen. Mittels Blockchain-Technologie – einer Art Grundbuch, in dem Käufe eingetragen werden – soll das Internet dezentral, digital, begehbar und von den Usern definiert werden. Wir sollen dadurch von passiven Benutzern zu aktiven Gestaltern aufsteigen. Ein Teil des Internets gehört dann uns.
Künftig werden Reisen zu bunten Palmen vom Wohnzimmer aus möglich sein. © Unsplash
Knallbunte Avatare
Mittlerweile ist die erste Euphorie verflogen. Der Wert der Kryptowährungen ist in den Keller gefallen, man weiß über die vielen illegalen Insidergeschäfte bei NFTs und die ersten Metaverse-Versuche sehen dilettantisch aus. Horizon Worlds nennt sich die Version von Mark Zuckerberg – knallbunte Avatare, also virtuelle Versionen von uns selbst, fliegen ohne Unterkörper durch ebenso knallbunte Computerspielwelten. Ähnlich reduziert und retro sehen auch Decentraland und The Sandbox aus. Vielleicht erinnert sich noch jemand an das Computerspiel Second Life, das vor 20 Jahren Furore gemacht hat? Ernüchternd, dass sich zumindest ästhetisch seit damals wenig getan hat. Die Avatare sind noch immer Comicfiguren. Hinzu kommt die fehlende Sicherheit: Userinnen berichten von Belästigungen im Metaverse.
Zehn Milliarden US-Dollar hat allein Meta, das Unternehmen, zu dem unter anderem Facebook und Instagram gehören, im vergangenen Jahr ins Metaverse investiert. Aber Inhaber Mark Zuckerberg schätzt selbst, dass sich das Potenzial erst in zehn bis 15 Jahren vollständig entfalten wird. Zurzeit arbeiten 290 Firmen an gemeinsamen Standards für das Metaverse, darunter Microsoft, Nvidia, Google und sogar Ikea. Obwohl die Idee des Metaverse noch in den Kinderschuhen steckt, ist sie bereits in den Köpfen der Endverbraucher angekommen: In einer aktuellen Umfrage von Bitkom, dem deutschen Branchenverband der Telekommunikationsbranche, erwarten 21 Prozent der befragten 1000 Personen über 16 Jahren, dass sie im Jahr 2030 fremde Länder im Metaverse mit Virtual-Reality-Brillen besuchen werden, statt real dorthin zu reisen. Wenig überraschend: In der Gruppe der 16- bis 29-Jährigen waren es sogar 26 Prozent, die sich vorstellen können, sich als Avatar durch ein digitales Modell der Wirklichkeit zu bewegen.
Um das Metaverse möglichst echt zu erleben, wird gerade an hochwertigen VR-Brillen gearbeitet. © Stocksy
Nachhaltiges Reisen
Mit Haien im Ozean tauchen? Als Astronaut ins Weltall aufbrechen und ferne Galaxien erforschen? Auf einem Hochhaus balancieren? An entlegenste Orte auf der Welt gelangen? Oder sogar Zeitreisen ins Mittelalter antreten? Das Metaverse soll völlig neue Urlaubserlebnisse ermöglichen. Reisen würde dadurch ressourcenschonender, nachhaltiger und ökologischer; man könnte am Wochenende bequem vom Wohnzimmer aus in die Antarktis aufbrechen. Man müsste nicht körperlich fit sein, um am Gipfel des Mount Everest zu stehen. Es wäre denkbar, sich mit Freunden in New York City zu verabreden. Man trifft sich digital, aber in Echtzeit dort in einer schicken Bar. Auch für Livekonzerte ist das Metaverse eine spannende Option: Man ist daheim, fühlt sich aber mitten in einem Konzert. Wird einem alles zu anstrengend, steigt man einfach aus und schaltet sich erst bei den Zugaben wieder ein. Warum nicht auch ein Arztbesuch im Metaverse, zumindest für eine schnelle erste Diagnose? Und auch für den Unterricht wäre es doch ungemein anschaulich, mit seinen Schülern Exkursionen zu historischen Orten anzutreten.
Virtueller Zen Garden © Stocksy
Im Moment wird an hochwertigen Virtual-Reality-Brillen um deutlich weniger Geld als gewohnt gearbeitet, die es ermöglichen sollen, immersiv in neue, digitale Welten einzutauchen. Um Höhenangst zu überwinden, wird bereits jetzt mit VR-Brillen trainiert; viele Museen bieten schon virtuelle Führungen an: Ohne direkt hinzufahren, kann man in Amsterdam im Van Gogh Museum herumflanieren, in Florenz die Schätze in den Uffizien ohne lästiges Anstellen besichtigen oder ins New Yorker Guggenheim Museum virtuell eintauchen. Schön ist auch das British Museum in London als virtuelle Tour. Auf der Webseite youvisit.com/tour gibt es 3D-Helikopterflüge über New York City, einen Besuch im Pariser Louvre oder Touren durch Berlin. Als Einstimmung auf eine reale Reise eignet sich das gut, weil man ein Gefühl für Entfernungen bekommt, sieht, wo der Eingang zu einem Museum ist oder wo sich ein nettes Café in der Nähe befindet. Virtual-Reality-Touren sind ein Tool, das auch Reiseanbietern zugutekommen kann: Kunden können so ihr Hotelzimmer schon im Vorfeld virtuell inspizieren.
Wie das echte Leben
Der Haken daran: Bisher ist alles aufgezeichnet und nicht live. Aber gerade das macht im Urlaub einen wesentlichen Reiz aus, dass man mitten im quirligen Leben steckt und nicht nur dreidimensionale Bilder sieht. Um den Unterschied konkret zu machen: Im Metaverse plaudert man mit anderen, geht einkaufen, sitzt als Avatar in einem Café, anstatt diese vorgefertigte VR-Welt nur passiv in 3D zu konsumieren. Das Metaverse soll sich wie das echte Leben anfühlen – und genauso aufregend und unberechenbar sein. Bei Livekonzerten funktioniert das schon in Ansätzen; die deutsche Metaverse-Plattform Yabal etwa veranstaltet bereits virtuelle Gigs, aber auch Anbieter wie Sandbox und Roblox sind diesbezüglich aktiv. MTV hat sogar einen Award für das beste Metaverse-Konzert des Jahres eingeführt.
Schwebendes Office: Im Metaverse sollen auch Business-Meetings möglich werden. © beigestellt
Südkoreas Hauptstadt Seoul baut gerade an einem digitalen Zwilling. Sämtliche Bereiche der Stadtverwaltung sollen ins Metaverse verlegt werden. In Zukunft soll es dort ein Finanzamt geben, das man als Avatar besuchen kann, aber auch eine Beschwerdestelle. Befürworter finden das praktisch, Gegner sehen darin eine Dystopie. Hat man in Ämtern nicht ohnehin das Gefühl, in einem Paralleluniversum zu sein, in dem eine Fremdsprache gesprochen wird? Fraglich, ob künstliche Intelligenz einem schneller helfen kann als echte Menschen. Das Schöne an der Zukunft aber bleibt ohnehin, dass sie nach wie vor offen ist. Vielleicht kommt es ja doch ganz anders. Schließlich geistert der Kühlschrank, der eigenständig einkauft, sobald ein Lebensmittel ausgeht, auch schon ewig durch die Medien. Aber kein Mensch braucht ihn tatsächlich.
Dieser Artikel erschien in der Falstaff TRAVEL Ausgabe Winter 2022/23.