Ist das das ikonischste Hotel in New York?
In kaum einem anderen Hotel der USA haben mehr Kreative ihre Spuren hinterlassen als im „Chelsea Hotel“: Leonard Cohen, Andy Warhol und Patti Smith haben die Legenden um das Haus geprägt – selbst wenn sie nicht immer ihre Rechnung begleichen konnten.
7. Januar 2025
Manchmal arm, immer sexy
© Annie Schlechter
Der amerikanische Dramatiker Arthur Miller machte gerade eine harte Zeit durch – er hatte sich just von Hollywoodstar Marilyn Monroe scheiden lassen, hauste vorübergehend in Zimmer 614 des New Yorker „Chelsea Hotel“ und versuchte, sich die Presse vom Hals zu schaffen. Doch die wahre Prüfung erwartete ihn jeden Morgen im Bad: ein ungebändigter Heißwasserregler. Miller schrieb über diese Wochen 1961: „Obwohl ich mich unter der Dusche ein paarmal verbrüht hatte, begann ich, das Hotel zu mögen.“
Und warum auch nicht? Das rote Backsteingebäude aus dem späten 19. Jahrhundert lebte vom Ruf seiner Kurz- und Langzeitmieter, von den wahren und nicht so wahren Geschichten aus der 23. Straße im Westen Manhattans; von der kreativen Energie, die sich zwischen den Mauern des Hotels zu potenzieren schien.
Angeblich schrieb der spätere Literatur-Nobelpreisträger Bob Dylan den Song „Sara“ in Zimmer 211, Leonard Cohen tauschte mit Janis Joplin in Zimmer 424 mehr als nur Briefmarken aus und verewigte diese Momente im Lied „Chelsea Hotel #2“; Arthur C. Clarke schrieb den Roman „2001: A Space Odyssey“ im Haus, Andy Warhol drehte Teile seines Films „Chelsea Girls“ auf den Zimmern und Madonna posierte für ihr berüchtigtes „Sex“-Buch auf Betten wie Fluren.
Asyl für Künstler
© Annie Schlechter
Das charakteristische Gebäude zwischen 7th und 8th Avenue war ein Künstlerunterschlupf, ein Asyl für Unverwüstliche und Unerträgliche, doch es galt selten als ein Hort der Service-Wunderkultur. Das zwölfstöckige Hotel erfüllte Diskretionswünsche, kaum Luxusbegehren – bis das Haus vor mehr als zehn Jahren geschlossen und komplett umgebaut wurde. Seit 2022 hat es als Fünf-Sterne-Refugium wiedereröffnet, mit blank polierten Parkettböden, Marmorbädern und vor allem voll ausgestatteten Minibars. Ein paar Langzeitbewohner leben nach wie vor in einigen Suiten, doch durch das „Chelsea“ weht nun ein anderer Geist.
© Annie Schlechter
Von Anfang an hatte das Gebäude eine Sonderstellung, war als Bollwerk gegen den hemmungslosen Kapitalismus gedacht. Nach dem Börsenkrach von 1873 entwickelte der Architekt Philip Hubert einen Plan zum Bau von genossenschaftlichen Wohnhäusern in New York City. Die Mieter sollten durch die gemeinsame Nutzung von Brennstoffen und Dienstleistungen Geld sparen – das „Chelsea“ war seine Sozialrevolution. Zunächst schien das 1884 eröffnete Projekt erfolgreich. Hubert reservierte Wohnungen für jene Arbeiter, die am Gebäude gebaut hatten: Elektriker, Innenarchitekten, Klempner. Außerdem siedelte er Schriftsteller, Musiker und Schauspieler an; im obersten Stockwerk befanden sich 15 Künstlerateliers. In den gemeinsamen Esszimmern hingen Gemälde der Hudson River School, die Decken waren mit Naturmotiven geschmückt. Doch bereits 20 Jahre später musste das Experiment Konkurs anmelden. 1905 wurde es (zum ersten Mal) in ein Luxushotel umgewandelt. Schriftsteller wie Mark Twain oder William Dean Howells besuchten das Haus nun regelmäßig. Nach dem Zweiten Weltkrieg verfiel der Backsteinbau, die Zimmerpreise rauschten in den Keller – und preisbewusste Künstler wie Jackson Pollock, Patti Smith oder Dylan Thomas checkten ein.
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Was es fortan im Überfluss gab, waren Legenden mit Leidenschaft, aber ohne Bonität: Künstler tauschten Gemälde gegen Miete oder wohnten gratis, subventioniert durch jene Sprösslinge der Superreichen, die sich gern neben den schillernden Underground-Koryphäen blicken ließen und freiwillig exorbitante Preise für die Zimmer zahlten. Stanley Bard übernahm ab den späten 1960er-Jahren den Posten als Hoteldirektor und wurde selbst zur Legende – der „New Yorker“ bezeichnete ihn sowohl als „den beliebtesten Vermieter der Geschichte“ als auch als „größten Starfucker aller Zeiten“. Der exilierte tschechische Regisseur Milos Forman („Amadeus“) durfte dank Fürbitte eines Freundes im Haus wohnen. „Alles, was ich damals über das ‚Chelsea‘ wusste, war, dass dort einige Hippies wohnten“, erinnerte er sich später an die Zeit. „Aber ich wusste nicht, dass es den langsamsten Aufzug im ganzen Land hatte.“
© Annie Schlechter
155 Zimmer stehen nun wieder Kurz- oder Langzeitgästen offen, vom kleinen Einzelzimmer bis hin zu Zwei-Zimmer-Suiten mit Wolkenkratzeraussicht. Auch das legendäre Restaurant „El Quijote“, in dem bereits Andy Warhol mit seiner Entourage feierte, empfängt wieder Freunde der spanischen Küche. Doch alle Promi-Voyeure seien gewarnt: Die Zeiten der ausufernden Partys sind Geschichte. Das „Chelsea“ ist heute ein straff organisierter Übernachtungsbetrieb – mit ungefährlicher Warmwasserversorgung und ordentlichem Lift.
© Noah Fecks
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Dieser Artikel erschien in der Falstaff TRAVEL Ausgabe Herbst 2024.