Trend Watch Dark Tourism: Reisen an die dunklen Orte der Geschichte
Ein bisschen gruselt sich doch jeder gern, vor allem im Herbst. Doch immer mehr Menschen widmen ihren Urlaub Zielen, die einem mehr als nur Gänsehaut über den Rücken jagen.
29. Oktober 2022
Wer sieht sich im Oktober nicht gerne den ein oder anderen Horrorfilm an, um sich auf Halloween einzustimmen? Manche von uns gruseln sich jedoch lieber als andere – auch im Urlaub. Paul ist ein sogenannter "Dark Tourist". Sonne und Strand sind nicht seins. Er mag es lieber schaurig. Und als solcher interessiert er sich unter anderem für Schauplätze von Katastrophen. Was hinter dem Trend steckt und welche Orte sich für einen Dark Tourism Grusel-Besuch eignen, verrät er Falstaff TRAVEL.
Außergewöhnliches Reise-Motiv
Paul ist bei Weitem nicht der Einzige seiner Art. Wie viele "Dark Tourists" es weltweit gibt, darüber herrscht Uneinigkeiten. Offizielle Statistiken gibt es nicht. Ob die Zahl steigt, kann man daher auch nicht sagen. Fest steht aber: Es handelt sich dabei nicht um ein neues Phänomen. Im weitesten Sinne waren schon die blutigen Spektakel im Colosseum in Rom ein Anziehungspunkt für diese Art von Reisenden. Auch öffentliche Hinrichtungen im 16. Jahrhundert sind ein Beispiel dafür. 1815 sollen Zuschauer nach Waterloo gereist sein, um die Schlacht hautnah beobachten zu können. Aber was genau finden Interessierte daran so anziehend?
Ein faszinierendes Bauwerk mit durchaus grausamer Geschichte: Das Colosseum von Rom. © Shutterstock
In England studiert Philip Stone dieses Phänomen. Er ist Executive Director des Institute for Dark Tourism Research an der Universität von Central Lancashire. Er vermutet, die Faszination von Katastrophen-Orten habe auch damit zu tun, dass sich der moderne Mensch Aspekte der eigenen Vergänglichkeit vor Augen führen möchte. Oft fragen sich an diesen Destinationen ihm zufolge Menschen auch, wie sie selbst in einer derartigen Situation reagiert hätten. Es handle sich dabei also auch um eine Art "Trainingscamp" für den Ernstfall.
Der "typische" Dark Tourist
Die Beweggründe sind freilich so individuell wie die Menschen, die dem Hobby "Dark Tourism" frönen. So sind Geschichtsfans beispielsweise ebenso unter ihnen wie Technik-Nerds, die sich für diesen Aspekt einer Katastrophe interessieren. Zu ihnen gesellen sich Menschen, auf die das Morbide eine ungeheure Faszination ausübt. Es gibt die Neugierigen. Und natürlich jene, die kommen, um sich zu erinnern, und um zu trauern. Und um schreckliche Episoden der Geschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Es handelt sich dabei also durchaus auch um eine wichtige soziale Funktion.
Im japanischen Hiroshima erinnert das Hiroshima Peace Memorial an den Abwurf der Atombombe auf die Stadt im Jahr 1945. © Unsplash
Und Paul? "Ich finde, in einer Welt, die so sehr von Oberflächlichkeiten geprägt ist wie die unsere, wo alles immer nur schön ist, muss man hin und wieder absichtlich hinschauen. Auf das, was nicht glamourös ist. Das erdet ungemein." Egal, aus welchen Gründen man auch diese düsteren Orte bereist: Respekt ist ein wesentlicher Faktor. "An so tragischen Orten macht man keine Familienfotos. Man stellt sich nicht für ein Selfie hin. Man scherzt nicht", so Paul.
5 Dark Tourism Destinationen weltweit
So unterschiedlich die "Dark Tourists" sind, so unterschiedlich sind auch ihre Ziele. Sie reichen von verlassenen Gebäuden und Orten, die eine gruselige Atmosphäre verströmen über historische Destinationen bis hin zu Schauplätzen von Katastrophen aus der jüngeren Vergangenheit. Diese fünf Destinationen verbinden moderne Kultur mit dunkleren Einblicken in die Geschichte.
Pompeji, Neapel/Italien
Was geschah: Im Jahr 79 n. Chr. brach der Vesuv aus. Er bedeckte die damals florierende Stadt Pompeji, unweit von Neapel, mit bis zu 20 Meter hohen Geröll, mit Lava und Vulkanasche.
Heute vergisst man häufig den Aspekt des menschlichen Leides, der hinter den Ruinen steckt. Zu sehr verliert man sich im Staunen über die antike Baukunst. © Shutterstock
Was man heute noch sieht: Heute wandelt man durch die freigelegten Teile der Stadt und bestaunt Überreste von Villen, Straßen, Restaurants. Und auch die Gipsabdrücke von Körpern, die man bei Ausgrabungen fand.
Ground Zero, New York City/USA
Was geschah: Die Bilder der beiden Flugzeuge, die am 11. September 2001 in die beiden Türme des World Trade Center rasten, hat heute noch jeder vor Augen.
Das Denkmal zieht täglich mehrere tausend Menschen an. Sie gedenken der Opfer und Helden des Anschlags. © Shutterstock
Was man heute noch sieht: An der Stelle, an der einst die Türme standen, befinden sich mittlerweile ein Denkmal und ein Museum. Man gedenkt mit Fotos und Inschriften den Opfern und Helden der Katastrophe.
Salem, Massachusetts/USA
Was geschah: Im Jahr 1692 fanden eine Reihe von Verhaftungen und Anklagen statt, in denen Frauen der Hexerei bezichtigt wurden. 20 Beschuldigte wurden während der Hexenprozesse hingerichtet.
Im sogenannten "Witch House" lebte Richter Jonathan Corwin, der eine maßgebliche Rolle in den Hexenprozessen spielte. © Shutterstock
Was man heute noch sieht: In Salem Village befindet sich heute das Salem Witch Museum. Neben Dokumenten und Artefakten aus den Prozessen erfährt man viel über die Geschichte rund um die Stadt. Der "Salem Heritage Trail" verbindet alle wichtigen historischen Landmarks der Stadt.
Katakomben in Paris/Frankreich
Was geschah: Im Jahr 1780 schloss man den Friedhof Les Saints-Innocents in Les Halles, den damals bedeteundste Grabstelle der Stadt, aus hygienischen Gründen. Die Gebeine brachte man daraufhin in das sogenannte "Tombe-Issoire", einen unterirdischen, ehemaligen Steinbruch.
Platzangst darf man hier nicht haben. Mit jedem Schritt begibt man sich tiefer unter die Erde. © Shutterstock
Was man heute noch sieht: 130 Stufen führen 20 Meter unter die Erde. Entlang einer 1,5 km langen Strecke betrachtet man die sterblichen Überreste von Millionen von Parisern. Insgesamt ist das Areal 11.000 Quadratmeter groß.
East End, London/UK
Was geschah: Im Herbst des Jahres 1888 streunte der wohl berühmteste Serienkiller der Geschichte durchs Londoner East End: Jack the Ripper. Bis heute weiß man nicht, wer sich hinter dem Pseudonym "Jack the Ripper" verbarg.
Dort, wo man 1888 die ermordete Annie Chapman fand, ist heute vor allem Grafitti zu sehen. © Shutterstock
Was man heute noch sieht: Eigentlich nicht viel. Auch das Londoner East End ist mittlerweile stellenweise sehr hip geworden. Allerdings bieten zahlreiche Unternehmen geführte "Terror Walks" an. Bei diesen lassen sie das 19. Jahrhundert wieder auferstehen. Sie führen an die Leichenfundorte und präsentieren die unterschiedlichen Theorien rund um den Täter.
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