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Aussteigen auf Zeit: Die Geschichte des Kurierens

Kuren haben eine weit zurückreichende Tradition. Ein Report, plus Guideline der besten "Spa Towns of Europe".

24. November 2021


Sich kurieren hat Tradition: Wellness kannte man schon in der Antike. Mondäne Orte wie Karlsbad oder Marienbad zogen später die Boheme an, die nicht nur zum Entspannen anreiste. Auch heute offerieren Kurorte mehr als schlichte Wege zur Gesundheit.

Körper und Geist

Der Begriff „Kur“ leitet sich vom lateinischen „cura“ („Heilung, Behandlung, Pflege“) ab. Natürliche Heilmittel sollten der Regeneration dienen. Sie kamen bereits in der Antike zum Einsatz: Der Tempel von Epidauros ist eine gigantische Kuranstalt, man brachte dem Gott Asklepios und dessen Vater Apollon Opfer dar und frönte danach einem ausgiebigen Tempelschlaf, um im Traum vom Gott persönlich zu erfahren, welche Heilmethode angewandt werden sollte. Mitunter wurde auch auf Hypnoseverfahren zurückgegriffen, um die Frage der Behandlungsmethode zu klären; meist waren es aber Gespräche mit Priestern, die den Weg zur individuellen Kur ebnen sollten, die von Diäten über Bäder bis zu Kräuteranwendungen vieles umfasste. Kulturangebot war stets Teil der Therapie, dafür gab es ein riesiges Theater und eine Bibliothek. Man wusste schon in der Antike: Körper und Geist gehören zusammen. Eine Wellnessatmosphäre war wichtig, eine anregende Stimmung sollte helfen, sich rundum wohlzufühlen. Kurorte hatten oft auch ein utopisches Potenzial, weil Menschen zusammenfanden, die einen anderen, neuen Lebensentwurf ausprobieren wollten. Frühe Aussteiger wie in der Kolonie Monte Verità auf einem Hügel oberhalb von Ascona im Schweizer Kanton Tessin feierten zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Rückkehr zur Natur. „Vom Ich zum Wir“ lautete das Motto der Stunde. Monte Verità war ein Zuhause für Menschen, die sich aus den Fesseln der Gesellschaft lösen wollten. Man trug Reformkleider, badete nackt in der Sonne, praktizierte Eurythmie. Frauenemanzipation und neue Erziehungsformen wurden propagiert, vegetarischer Eigenanbau ausprobiert, ein Leben ohne Besitz in Eintracht mit der Natur angestrebt. Das zog die damalige Boheme an: Kunstschaffende wie der Autor Hermann Hesse, die Tänzerin Isadora Duncan oder die Schriftstellerin Else Lasker­-Schüler holten sich hier Inspiration. Monte Verità ist das bekannteste Aussteigerprojekt, aber es gab zahlreiche davon. Im slowenischen Bled, das malerisch um einen See liegt, entwickelte der Schweizer Arnold Rikli Ende des 19. Jahrhunderts seine Ideen, um Rheuma, Migräne und Schlafstörungen zu mindern. Er verordnete Licht­ und Luftbäder und wurde deshalb auch Sonnendoktor genannt. Dazu gab es streng vegetarische Diät. Seine Kurgäste verbrachten die Nächte in offenen Hütten, es gab Fitnessplätze, wo sie barfuß wanderten; vieles davon klingt noch immer erstaunlich modern und aktuell. Gleichzeitig war Rikli eine schwierige Persönlichkeit: Als radikaler Impfgegner versagte er auch den eigenen Kindern anerkannte medizinische Behandlungen und Operationen, was ihm viel Kritik einbrachte. Konflikte mit Ärzten endeten oft vor Gericht. 

Licht- und Luftbäder. Im slowenischen Kurort Bled verordnete der Schweizer Arnold Rikli seinen Gästen eine streng vegetarische Diät. ©GettyImages

 

Neustart des Systems

Wir erleben gerade ein Revival und Update alter Ideen. Anton Kneipp, der regelmäßig in der eiskalten Donau badete, hat mittlerweile viele Jünger. Eisschwimmen boomt; der Kick, im Winter in ein eiskaltes Naturgewässer zu steigen, hat in der Pandemie, in der viele Sportstätten geschlossen waren, eine breite Anhängerschaft gewonnen. Eisschwimmen ist der Himalaya für Faule: maximaler Effekt bei minimaler Anstrengung. Man muss sich nur überwinden, für Körper und Geist ist es wie ein Neustart des Systems. Wir müssen quasi nichts neu erfinden, selbst der Begriff Wellness hat Tradition: Bereits 1654 tauchte er in einer Monografie von Sir A. Johnson als „Wealnesse“ auf und wurde mit „guter Gesundheit“ übersetzt. 1959 entwickelte der Sozialmediziner Halbert L. Dunn aus den Begriffen „Wohlbefinden“ („wellbeing“) und „körperliche Leistungsfähigkeit“ („fitness“) das Wort „Wellness“. Er leitete damit eine Kehrtwende ein, sich nicht mehr nur auf die Heilung von Krankheiten zu konzentrieren, sondern auch die Vorbeugung wichtig zu nehmen, damit man erst gar nicht krank wird. Wellness soll Spaß machen, das war die neue, wohltuende Botschaft. Eigenverantwortung wurde gefordert, das Aussteigen auf Zeit als Tourismussegment wiederbelebt. Dabei ist Wellness mehr als ein paar Tage Auszeit: Der Anspruch ist, etwas in den Alltag mitzunehmen, sein Leben zu überdenken und zu ändern, damit es einem nicht wie in dem Comic „Asterix und der Arvernerschild“ geht: Der gallische Häuptling Majestix wird da auf Kur geschickt – doch auf seinem Heimweg futtert er sich das ganze verlorene Gewicht wieder an.

 

Good old England. Die Briten haben eine Wellness-Kultur, die auf die Antike zurückgeht. In Bath liegt Englands berühmtes Römerbad. ©GettyImages

Neustart des Systems

Wir erleben gerade ein Revival und Update alter Ideen. Anton Kneipp, der regelmäßig in der eiskalten Donau badete, hat mittlerweile viele Jünger. Eisschwimmen boomt; der Kick, im Winter in ein eiskaltes Naturgewässer zu steigen, hat in der Pandemie, in der viele Sportstätten geschlossen waren, eine breite Anhängerschaft gewonnen. Eisschwimmen ist der Himalaya für Faule: maximaler Effekt bei minimaler Anstrengung. Man muss sich nur überwinden, für Körper und Geist ist es wie ein Neustart des Systems. Wir müssen quasi nichts neu erfinden, selbst der Begriff Wellness hat Tradition: Bereits 1654 tauchte er in einer Monografie von Sir A. Johnson als „Wealnesse“ auf und wurde mit „guter Gesundheit“ übersetzt. 1959 entwickelte der Sozialmediziner Halbert L. Dunn aus den Begriffen „Wohlbefi nden“ („wellbeing“) und „körperliche Leistungsfähigkeit“ („fi tness“) das Wort „Wellness“. Er leitete damit eine Kehrtwende ein, sich nicht mehr nur auf die Heilung von Krankheiten zu konzentrieren, sondern auch die Vorbeugung wichtig zu nehmen, damit man erst gar nicht krank wird. Wellness soll Spaß machen, das war die neue, wohltuende Botschaft. Eigenverantwortung wurde gefordert, das Aussteigen auf Zeit als Tourismussegment wiederbelebt. Dabei ist Wellness mehr als ein paar Tage Auszeit: Der Anspruch ist, etwas in den Alltag mitzunehmen, sein Leben zu überdenken und zu ändern, damit es einem nicht wie in dem Comic „Asterix und der Arvernerschild“ geht: Der gallische Häuptling Majestix wird da auf Kur geschickt – doch auf seinem Heimweg futtert er sich das ganze verlorene Gewicht wieder an.

Best of Spa Towns of Europe

Die Unesco-Kommission erklärte aktuell elf Städte zu „Great Spa Towns of Europe“. Neben Orten wie Bath in England, Marienbad (im Bild rechts) in Tschechien und Baden-Baden in Deutschland darf sich auch der Kurort Baden bei Wien in die illustre Runde einreihen. Das Prädikat Unesco-Welterbe bezeugt die reiche Kultur und Geschichte dieser Tradition in Europa und ihre Bedeutung für den Tourismus.

©Marienbad

Vergnügungsreise

Laut Unesco stellen die ausgezeichneten Kurstädte ein außergewöhnliches Zeugnis des europäischen Kurphänomens dar und beschreiben ein „komplexes urbanes, soziales und kulturelles Phänomen“, das sich bereits in der Antike begründete und seine Blütezeit von 1700 bis in die 1930er-Jahre erlebte. Zudem gelten die Kurstädte und ihr Gesundheitswesen als Katalysatoren für einen modernen Tourismus. Denn auch, wenn man vor allem (und augenscheinlich) aus gesundheitlichen Gründen kurierte, waren diese Orte auch gesellschaftliche Drehscheiben und Ankerpunkte einer internationalen Community, die sich gerne verlustierte. Ein gutes Beispiel dafür ist Baden bei Wien, auch wenn die Stadt erst 1934, nach der Eröffnung des Spielcasinos (Bild links), zum bedeutendsten Kurort Österreichs ernannt wurde. Den aktuellen Erfolg, dass sich Baden bei Wien nun zu den „Great Spa Towns of Europe“ zählen darf, verdankt die Stadt der eigenen Initiative – und dem Zusammenschluss mehrerer Orte, die sich seit 2005 dafür eingesetzt haben, in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen zu werden. Bravo!

Mondän. Das Casino in Baden bei Wien wurde 1934 eröffnet und verhalf dem Ort zu noch mehr Pracht. ©Mauritius Images/Volker Preusser

Good to know

1507

In diesem Jahr wurde in Baden-Baden die erste Kurtaxe erhoben. In Österreich wurde die erste Taxe 1824 in Bad Ischl erhoben.

5

Säulen hat die Kneipp-Kur: Sie besteht aus Lebensordnung, Wasser, Bewegung, Ernährung und Pflanzenheilkunde.

350

So viele Heilbäder und Kurorte gibt es in Deutschland, darunter etwa 150 Heilquellen-Kurbetriebe und Mineral-/Thermalheilbäder, die über eine bis mehrere Heilquellen verfügen.

2. Jhdt. v. Chr. 

Seit damals gibt es Fußbodenheizung. Die Ersten, die darüber verfügten, waren die Griechen der Antike, die damit ihre Bäder heizten. Das bildete die Grundlage für die römischen Thermen.

Beste Kurstädte Europas

  • Bath, England

Ein eindrucksvolles Beispiel für eine Kultur, die bis in die Antike zurückreicht und heute noch besichtigt werden kann.
visitbritain.com

  • Montecatini Terme, Italien

Hier gibt es über 200 Hotels aller Art – der Kurtourismus ist der wichtigste Wirtschaftsfaktor der Region.
toskavista.de

  • Vichy, Frankreich

Hier entspringen zwölf Quellen, die alle Kohlensäure enthalten und deshalb früher „Sauerbrunnen“ genannt wurden.
france-voyage.com

  • Baden-Baden, Deutschland

Während seiner Glanzzeit im 19. Jahrhundert galt der Ort als „Sommerhauptstadt Europas“.
baden-baden.de

  • Bad Ems, Deutschland

Zu den bekanntesten Kurgästen gehörten Johann Wolfgang von Goethe, Richard Wagner und Victor Hugo. Auch diverse Zaren waren hier gern gesehene Gäste.
badems-nassau.info

  • Bad Kissingen, Deutschland

Das bayrische Staatsbad besitzt den ältesten Kurgarten und das größte Ensemble historischer Kurbauten Europas.
badkissingen.de

  • Marienbad, Tschechien

Hierher reist man bei Atmungs-, Stoffwechsel- und Nierenproblemen, Verspannungen und Schmerzen im Bewegungsapparat – und wegen der Geschichte.
marianskelazne.cz/de

  • Karlsbad, Tschechien

Hier befindet sich der Geysir Pramen Vřídlo, dessen Fontäne bis zu zwölf Meter hochschießt.
karlovyvary.cz/de

  • Franzensbad, Tschechien

Hier wurde im 17. Jahrhundert erstmals Heilwasser in Tonkrügen versandt, damals noch bekannt unter dem Namen „Egerwasser“.
frantiskovylazne.cz/de

  • Baden bei Wien, Österreich

Die warmen Schwefelquellen sind bereits seit der Römerzeit belegt. In der Neuzeit erfreute sich Baden großer Beliebtheit wegen seiner Nähe zur Hauptstadt Wien.
baden.at

  • Spa, Belgien

Der Geburtsort der Wellness: Aus dem Namen der Stadt Spa entstand im Englischen der Gattungsbegriff Spa als Synonym für „Heilbad“ – und ist bis heute ein Synonym für jede Form von Wellness. Vollkommen zu Recht: Allein in und um Spa gibt es mehr als 300 Quellen!
villedespa.be

Dieser Artikel erschien in der Falstaff TRAVEL Ausgabe SPA Special 2021.

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