Seafood-Paradies Irland
Bei Irland und Fisch denkt man in erster Linie an Lachs – doch die Grüne Insel im blauen Atlantik bietet gleich eine ganze Fülle an exzellenten Fischen und Meeresfrüchten, die selbst die Iren erst langsam zu entdecken beginnen.
9. Januar 2024
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Als Tony Davidson und Lina Reppert vor einigen Jahren in Downings an der Nordküste Irlands Urlaub machten, bemerkten sie, dass neben dem örtlichen Pub ein kleines Haus mit sensationellem Blick auf die Bucht von Sheephaven leer stand. „Wir träumten schon lange davon, hier im Ort ein Fischrestaurant zu eröffnen“, sagt der Koch, „also fragten wir den Besitzer des Pubs, ob er uns das Häuschen vermieten würde, und er willigte ein.“ Zuvor lebte und arbeitete der Ire Davidson in Schweden, wo er auch seine schwedische Lebenspartnerin kennenlernte – und so tauften sie das Lokal „Fisk“, Schwedisch für „Fisch“.
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Ungewöhnlich für Irland ist aber nicht nur der Name, sondern das gesamte Konzept dahinter. „Ein Bekannter, der hier lebt, fragte uns, ob wir durchgeknallt seien, ein Lokal zu eröffnen, das ausschließlich Fisch und Meeresfrüchte serviert“, erzählt Davidson, „weil wir Iren einfach keine großen Fischesser sind.“ Dabei finden sich in den tiefblauen Gewässern vor der Küste die mitunter besten Meeresfrüchte Europas.
Fish and Chips versus feinen Hummer
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„Wir haben hier rundherum alles, was das Herz begehrt“, freut sich der Restaurantbesitzer, „alle möglichen Arten von Fischen, fantastische Taschenkrebse, einzigartige Austern und Jakobsmuscheln, und ein paar Kilometer weiter liegt eine der besten Miesmuschelzuchten der Insel.“ Doch der Ertrag ging bislang stets in den Export, in erster Linie in meeresfrüchteverliebte Länder wie Spanien und Frankreich. Die Iren selbst begnügten sich lange Zeit lediglich mit Kabeljau- und Seelachsfilets für ihr geliebtes Fish and Chips. Doch das ändert sich gerade.
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Von Downings in der Republik Irland ist es nur eine Autostunde bis nach Nordirland – und dort ist die Situation ähnlich. „Bis vor wenigen Jahren gingen meine Hummer ausnahmslos nach Frankreich“, erzählt der Hummerfischer Peter Boston, dessen Heimathafen die Stadt Portstewart ist, „aber seit Kurzem finde ich immer öfter auch lokale Abnehmer.“
Zu diesen zählt auch Donal Doherty, der am prächtigen Stadtstrand von Portstewart ein sehr stimmiges Lokal namens „Harry’s Shack“ betreibt. Wie es sich für einen Shack, also eine „Bude“, gehört, ist hier alles sehr rustikal. Hölzerne Tische, keine Tischtücher und eine Küche, bei der die Frische der Zutaten die Hauptrolle spielt. Fish and Chips gibt’s freilich auch, aber obendrein eben den gegrillten Hummer als Ganzes oder als Hälfte. Serviert wird er mit nichts weiter als knackigem Salat und Pommes frites; grob geschnittenen, wie es die Iren lieben. Wunderbar zum Ort passen auch die knusprig frittierten Ährenfische oder die gedämpften Miesmuscheln.
Seafood als Slow Food
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Nur sieben Autominuten von Portstewart entfernt, im Ort Coleraine am Ufer des idyllischen Flusses Bann, betreiben Rebekah und Stevie McCarry ihr kürzlich eröffnetes Restaurant „Lir – Native Seafood & Scran“. Die beiden engagieren sich aktiv in der lokalen Slow-Food-Gruppe und servieren ausschließlich saisonalen, lokalen und nachhaltig gefangenen Fisch. Auch das Gemüse stammt von Farmen aus der Umgebung, und Plastik kommt hier gar nicht zum Einsatz. „Außerdem bemühen wir uns, den ganzen Fisch zu verwenden“, sagt Rebekah McCarry, „aus den Abschnitten machen wir Fonds oder verarbeiten sie zu Würsten beziehungsweise Charcuterie.“
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Das ist freilich alles sehr löblich, hülfe aber nicht, würde es nicht auch gut schmecken. Doch das mehrgängige (und je nach Fang und Lieferung täglich wechselnde) Verkostungsmenü überzeugt restlos. Wie etwa die gerösteten Medaillons vom Seeteufel mit Misoglasur. Oder der Caesar’s Salad mit geräucherter Makrele und Parmesan, bei dem Würfel aus frittiertem Lengfisch den Speck ersetzen. Wer keinen Tisch im Restaurant ergattert, kann immer noch in die angeschlossene Fischhandlung gehen, wo abgesehen von Frischfisch auch Snacks angeboten werden. Etwa Lobster Rolls, also Hummerbrötchen, oder die pikanten Bhaji (eine Art frittierter indischer Beignet) mit Tintenfisch; wunderbar frische Austern von einer nahen Zucht gibt es hier auch.
Züchter bieten seltene Austern
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Bei den Austern handelt es sich um sogenannte Pazifische Felsenaustern, eine Art, die ursprünglich aus Japan stammt. Seit den 1960ern werden sie auch in Europa gezüchtet, wo sie inzwischen nahezu 95 Prozent der Gesamtproduktion ausmacht. Da bleibt für die Europäische Auster nicht mehr viel übrig. Und dennoch gibt’s weiter südlich rund um Galway mehrere Züchter, die die seltene wie delikate Europäische Auster (Ostrea edulis) anbieten.
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Michael Kelly ist einer von ihnen. „Bereits mein Urgroßvater fischte Austern in dieser Bucht, wo sich das Salzwasser des Atlantiks mit dem Süßwasser der Flüsse Clarinbridge und Kilcolgan mischt“, sagt er, während er eine Auster öffnet. Schon durch ihre rundere und flachere Form unterscheidet sie sich von ihrer handelsüblichen Verwandten. Geschmacklich ist sie süßer und nussiger als diese und in der Konsistenz deutlich knackiger. „Das Problem ist, dass sie so gut ist, dass viele danach keine normalen Austern mehr wollen“, erzählt Kelly, der beide Arten vermarktet.
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Zum Abendessen geht’s in eines der Seafood-Restaurants ins nahe Galway. Dieses versteht sich als Hauptstadt der irischen Auster. Alljährlich im September gibt es hier das Oyster & Seafood Festival, bei dem gesungen und getanzt wird und Berge an Schalentieren aufgebrochen werden. Der Andrang belegt, dass immer mehr Iren auf den Geschmack von Fisch und Meeresfrüchten kommen. Was ja auch verständlich ist, zumal diese dort, wo sie herkommen, am besten schmecken.
Dieser Artikel erschien in der Falstaff TRAVEL Ausgabe Herbst 2023.