Mailand für Foodies
Bekannt ist die norditalienische Großstadt in erster Linie für Fashion, Design und als Finanzmetropole – und viel weniger für die Qualität ihrer Restaurants. Dabei war die Mailänder Lokalszene noch nie so spannend wie jetzt.
29. November 2023
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Das zurzeit mit Abstand angesagteste Lokal in Mailand ist eine unscheinbare Trattoria namens „Trippa“ – ein geradezu schmuckloses Lokal mit Tischen und Stühlen aus dunklem Holz und Servietten und Tischsets aus Papier. Kein Chichi, kein Design, kein Glamour, und das ausgerechnet in der schicken Mode- und Style-Metropole. Chefkoch und Wirt Diego Rossi gilt in seiner Heimat jedoch als Superstar der Branche. Sein Spezialgebiet: klassische italienische Küche, darunter auch viel mit Innereien. Wie etwa die namensgebenden Kutteln (Italienisch: „trippa“), die Rossi so knusprig frittiert, dass sie im Mund geradezu zerstäuben. Eindrucksvoll ist auch seine Interpretation des klassischen Vitello tonnato, bei dem er die Thunfischcreme aufschäumt und sie jeder einzelnen Kalbfleischscheibe unterhebt.
Die bodenständige Küche boomt
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Rossi ist bei Weitem nicht der einzige Mailänder Küchenchef, der auf der Nostalgiewelle reitet und sich mit althergebrachter Hausmannskost auseinandersetzt. In der modernen und vor allem für italienische Verhältnisse sehr international geprägten Stadt – die nicht unbedingt den besten Ruf hat, was traditionelle Küche und alteingesessene Trattorien angeht – boomen inzwischen Lokale, die sich sehr erfolgreich mit Bodenständigem befassen.
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Eines davon ist das „Frangente“ von Federico Sisti. Der Küchenchef stammt aus der Romagna, also von der Adriaküste, was vermutlich erklärt, dass Fisch hier eine noch bedeutendere Rolle spielt als in anderen Trattorien Mailands. Darüber freut man sich als Gast genauso wie über die gemischte Pasta mit Krustentier-Bisque, das Püree von weißen Cannellini-Bohnen und Calamari; oder über eine Cotoletta alla milanese (bekanntlich das lokale Pendant zum Wiener Schnitzel), die Sisti als ungewöhnlich hohes Fleischstück und mit dementsprechend saftigem rosa Kern serviert.
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Ein weiterer „Neo-Traditionalist“ ist Cesare Battisti. Untergebracht ist sein Restaurant „Ratanà“ in einem ehemaligen Eisenbahndepot, dekoriert wurde es mit modernen Kunstwerken und Designerlampen. Das Resultat ist vertraute Osteria-Stimmung mit einem gehörigen Touch Moderne – eine Mischung, die sich auch in der Speisekarte widerspiegelt. Stadtbekannt ist etwa das Risotto alla milanese, das mit Safran und Knochenmark zubereitet und mit Bratensaft garniert wird. Oder das Ossobucco, dem Battisti eine persönliche Note verpasst: Er passiert das Gemüse des Soffritto, also des Wurzelwerks, und reicht es als sämige Sauce zu den Kalbsstelze-Scheiben.
Fantastische Küche bei Bulgari
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Natürlich finden sich in der wohlhabenden und glamourösen Finanzmetropole auch etliche nennenswerte Lokale der gehobenen Gastronomie. Eines der spannendsten unter ihnen ist mit Sicherheit jenes, das Niko Romito im eleganten Fünf-Sterne-Hotel „Bulgari“ betreibt. Bekannt ist der Drei-Sterne-Koch für seine geradezu schmucklos präsentierten Gerichte mit intensivem Geschmack sowie perfekte Garzeiten und Konsistenzen.
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Und so sitzt man im eleganten Rahmen des Luxushotels, nicht selten zwischen Modeschöpfern, Profi-Fußballern und Models. Und erfreut sich an nur scheinbar einfachen Gerichten, wie man sie in dieser Qualität jedoch kaum jemals zuvor erlebt hat. Dazu zählen Spaghetti al pomodoro, bei denen die Tomaten zuerst im Backrohr getrocknet werden, was der Sauce intensive Aromen verleiht. Oder Tubettoni, eine Pastavariante, mit Zucchini, Minze und Parmesan. Ganz fantastisch ist auch das knusprige Spanferkel in Orangensauce oder die inzwischen legendäre Interpretation der Cotoletta alla milanese.
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Allerdings muss man nicht zwangsweise tief in die Brieftasche greifen, um in den Genuss von Romitos fantastischer Küche zu kommen. In seinem zweiten Lokal, dem „Spazio“ im vierten Stock des Wahrzeichens Galleria Vittorio Emanuele, isst man fast genauso gut. Und obendrein in entspannterer Atmosphäre, zu niedrigeren Preisen – und mit Blick auf den Mailänder Dom, ein weiteres Mailänder Wahrzeichen.
Frangente © beigestellt
Ganz im Stil ihres berühmten Chefs serviert Executive Chef Gaia Giordano ganz aufs Wesentliche reduzierte Gerichte. Etwa die geschröpften und nur leicht angebratenen Makrelenfilets, die sie minimalistisch auf einer Creme aus Zitrusfrüchten und Petersilie anrichten. Oder das süditalienische Pasta Cacio e Pepe, eine Art Signature Dish des Meisters: hier, im Eiernudelgebiet Norditalien, wird es mit Tagliatelle serviert statt wie ursprünglich mit Spaghetti.
Frangente © beigestellt
Ein Besuch im „Spazio“ bringt auch den Vorzug mit sich, dass man gleich gegenüber im Erdgeschoss der eleganten historischen Einkaufspassage einen Aperitif im „Camparino“ trinken kann – eines der schönsten Tagesbars ganz Italiens.
Im Reich des Aperitivos
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Aperitivo ist freilich ein wichtiges Thema in Mailand – und die „Bar Basso“ ein weiteres legendäres Lokal, um einen solchen einzunehmen. In der weitläufigen Eck-Bar mit ihrem altmodischen Flair und dem mehrheitlich der Kreativszene angehörigen Publikum wurde einst, so heißt es, der Negroni Sbagliato erfunden. Dieser „falsch gemachte“ Negroni enthält wie der richtig gemachte zwar Campari und Wermut, statt des Gins aber Prosecco – was ihn dann doch um einiges leichter macht als das Original.
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Eine Aperitif-Bar jüngeren Datums ist indessen das „Cà-Ri-Co“, das Mailands wohl berühmtester Barkeeper, Domenico Carella, vor wenigen Jahren im kreativen Viertel rund um die Navigli eröffnete. Zu den perfekt gemixten Drinks werden hier kleine Gerichte serviert wie Austern, Spießchen vom Schwertfisch oder Tacos mit Beef Tatar. Alles in allem ist auch das „Cà-Ri-Co“ die perfekte Einstimmung auf einen Abend in Mailand – denn ganz egal, ob man nun in einer der Neo-Trattorien oder in einem Spitzenrestaurant zu Abend isst: Ohne Aperitivo geht hier wie in ganz Italien gar nichts.
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Dieser Artikel erschien in der Falstaff TRAVEL Ausgabe Herbst 2023.