Gourmetparadies Tirol – die Welt zu Gast
Längst vorbei sind die Zeiten, als man mit Tirol noch hauptsächlich deftige Skihütten-Kulinarik verband – heute hat sich das Bundesland nämlich zu einem feinen Gourmet- Hotspot gemausert, der auch den internationalen Vergleich nicht scheuen muss. Eine Spurensuche im Westen Österreichs.
13. Juni 2024
Mit viel Liebe zum Detail kreieren Hansi Treichl und sein Team im Böglerhof aus regionalen und saisonalen Produkten hochwertige und ehrliche Gerichte. © beigestellt
Die Mär ist eine zu schöne, um nicht immer weiter erzählt zu werden. Angeblich verfasste das älteste Kochbuch Österreichs die Kaufmannstochter Philippine Welser aus Augsburg im 16. Jahrhundert. Die Ehefrau von Erzherzog Ferdinand II. von Habsburg, dem damaligen Landesfürsten von Tirol, soll nicht nur unglaublich schön gewesen sein, sondern auch eine begeisterte und begabte Köchin. Ihre Rezepte, so will es die Legende, führten dazu, dass Adelsfamilien aus ganz Europa es als besondere Auszeichnung empfanden, als Gast zu ihr ins Schloss Ambras bei Innsbruck eingeladen zu werden. Ganz so wird es nicht gewesen sein. Dass die Küche „à la tyrolienne“ aber während dieser Zeit in ganz Europa sprichwörtlich in aller Munde war, ist korrekt.
Wirtshaus Steuerberg, Kitzbühel: Gesundes aus der Region und saisonale Abwechslung sind das Geheimrezept des Lokals. © Philipp Horak
Und auch die Existenz des berühmten Kochbuchs ist unstrittig. Bis heute kann es in der Kunstkammer von Schloss Ambras bewundert werden. Allerdings scheint es wohl eher Philippines Mutter Anna gewesen zu sein, die das Werk ursprünglich für ihre Tochter beauftragt hatte. Zahlreiche handschriftliche Ergänzungen, die höchstwahrscheinlich von Philippine selbst stammen, zeigen, dass diese tatsächlich selbst zu Kochlöffel und Tranchiermesser griff.
Im Böglerhof fokussiert man sich auf Regionalität – sowohl bei traditionellen Lieblingsspeisen und neuen Kochtrends. © StockFood
Sie dürfte ein Gespür für Kulinarik gehabt haben, denn Mengenangaben fehlen ebenso wie Angaben über die Koch- und Bratdauer. Wie interessiert an Heilkunde die Frau des Erzherzogs war, zeigt ein Kapitel, das sich ganz dem Essen bei Krankheit widmet. Zudem kommen von den fast 300 Rezepten 245 ohne Fleisch aus. In der Rezeptsammlung finden sich auch Gerichte aus dem romanischen Raum.
Genießen auf Tiroler Art
Die 500 Jahre alte „Fuggerstube“ kocht „brutal lokal“ – Tomaten und Wildkräuter kommen aus dem eigenen Garten, die Eier von Hühnern, die der Gastgeber betreut, den Rest liefern lokale Partner.© Tirol Werbung Kathrein Verena
Bei den Kalorien sparte man damals freilich nicht. So ging man selbst bei magerem Hähnchen sicher, es mit genügend Fett zu versehen. „Nimm ein Hühnchen, zerschneid es in vier Teile. Tu’s in ein Heffalin, gieß eine gute Fleischbrühe dran; auch zwei Petersilienwurzeln und ein wenig Muskatblüte und Ymber Stup (Ingwerpulver, Anm.); auch ein wenig einen Zwiebel. Setz es zum Feuer und vir fams sauber (schäume es immer wieder sauber ab, Anm.). Und wenn es ungefähr halb gesotten ist, so nimm die Schmollen von einer weißen Semmel, die zuvor in frischem Wasser eingeweicht wurde, (und) tu so viel hinein, wie dick du die Brühe haben willst. Du kannst auch einen Wein hineintun, die Brühe wird umso kräftiger und besser. Und wenn du’s anrichten willst, tu eine frische Butter hinein. Und lass es nur eine Stunde tun (kochen, Anm.) und richt’s an“, liest man etwa in einem von Philippines Rezepten.
Der Unterwirt, Ebbs: Küchenchef Christian Ranacher widmet sich mit viel Leidenschaft der kreativen Slow-Food-Küche. © Joerg Lehmann
Butter kam als günstiger Geschmacksträger in viele Speisen. Schließlich war seit den Kreuzzügen zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert der Preis für Gewürze stark gestiegen. Als es im 15. Jahrhundert beispielsweise zu einer Verdreißigfachung des Pfefferpreises kam, stiegen die Kosten für Geschmack im Essen exorbitant. Man behalf sich mit dem, was man hatte, und das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Schließlich waren bereits Reisende im 19. Jahrhundert von der Tiroler Küche ebenso angetan wie von der frischen Luft und der imposanten Bergwelt.
Die Natur im Alpbachtal ist eine Inspirationsquelle für die Küche im Romantikhotel Böglerhof. © Bernhard Huber
Sie kamen einerseits beflügelt durch die Tirol-Werke des Münchner Schriftstellers Ludwig Steub und andererseits auch, weil mehrere Faktoren zusammenfielen. Man sah in frischer Luft und körperlicher Betätigung vermehrt eine Quelle der Gesundheit; der Adel machte „Sommerfrische“ modern. Außerdem konnte Tirol durch den Ausbau der Eisenbahn leichter erreicht werden. Nach ausgedehnten Wanderungen griff man beherzt zu Gröstl, Speckknödeln, Kaspressknödeln, zu einer Marend mit Speck, Käse und Brot, zu Kasspatzeln, Kiachln und Schlutzkrapfen.
Bodenständige Qualität: Burrata und Beef Tatar gibt’s im „Wirtshaus Steuerberg“ ebenso wie Tafelspitz und Co. © Philipp Horak / Kitzbuehl
Gebackene Apfelradln, Strauben, Paunzen mit Apfelmus und Buchteln sind weitere typische Tiroler Köstlichkeiten, an denen man sich bis heute erfreut. Schließlich ist ein Kaloriendefizit nach der Bergtour, dem Mountainbike-Abenteuer oder auf der Skihütte unbedingt zu vermeiden. Anders als am Beginn des Fremdenverkehrs oder zu Philippines Zeiten hat man heute aber im Gourmetparadies Tirol zusätzlich die Möglichkeit, nicht nur fantastische Hausmannskost und Traditionsküche zu genießen, sondern sich auf höchstem internationalem Niveau bekochen zu lassen. In ganz Österreich gibt es sonst in keinem Bundesland so viele Restaurants mit hochkarätigen Auszeichnungen.
Für die „Paznaunerstube“ des Hotels „Trofana Royal“ in Ischgl gibt es internationale Küche auf höchstem Niveau, dazu bodenständige Tiroler Küche, die Gehaltvolles und Leichtes vereint. © A.M. Lohmann
Schon seit Jahren zur unangefochtenen Elite in dieser Hinsicht gehört der Tiroler Benjamin Parth. Sowohl im Hotel „YSCLA“ als auch im zugehörigen Gourmetrestaurant „Stüva“ in Ischgl sammelt er eine Auszeichnung nach der anderen. Bei diversen weltweiten Rankings ist er regelmäßig auf den vorderen Plätzen, zuletzt etwa auf Platz vier der tausend weltbesten Gourmetrestaurants. Auf seinen Lorbeeren ruht Parth sich aber nicht aus; er fühlt sich seinem Credo „Jeden Tag besser werden!“ verpflichtet. In der Küche mag er es reduziert – er kombiniert nie mehr als drei Geschmackskomponenten. Diese sind dafür aber in Perfektion aufeinander abgestimmt. „Weltoffen, frech und nicht alltäglich, garniert mit einer Prise Fantasie“, so beschreibt der junge Tiroler seine Küche selbst.
Scharnitzer Alm, Seefeld: Auf der Karte findet sich ausschließlich Regionales und selbst Gemachtes. © Tirol Werbung Bert Heinzlmeier
Auf vegetarische und vegane Küche spezialisiert hat sich hingegen Peter Fankhauser in seinem Restaurant „Guat’z Essen“ im Zillertal. Fankhauser setzt auf Zutaten aus dem eigenen Permakultur-Garten und gilt als einer der Newcomer des Jahres. Kulinarische Saisonalität und Regionalität sind für ihn Selbstverständlichkeiten; auch vergessene Arten finden Eingang in Fankhausers abwechslungsreiche Menüs.
Gourmetparadies Tirol
In die „Paznaunerstube“ wird in der alpin-rustikalen Stube gegessen, die herrlich unprätentiös daherkommt und dennoch den perfekten Rahmen für gehobenen Genuss darstellt. © dieWEST.at
Selbstverständlich muss gutes Essen nicht unbedingt in edlem Ambiente und mit Auszeichnungen versehen daherkommen. Dass man selbst in den kleinsten Hütten auf den höchsten Bergen kulinarische Meisterwerke genießen kann, beweisen viele Fleckchen in Tirol. In den rund 120 qualitätsgeprüften Wirts- und Gasthäusern mit dem Gütesiegel „Tiroler Wirtshaus“ serviert man typische Tiroler Gerichte, etwa Marend, Blattlstock oder Kaspressknödel, zubereitet mit viel Leidenschaft, Sorgfalt und nach traditionellen Rezepten sowie mit teils uraltem Wissen. In die Töpfe wandern Produkte aus der eigenen Landwirtschaft oder von Bauern und Erzeugenden aus der unmittelbaren und näheren Umgebung.
Sommerfrische auf der Alm: Weidekühe genießen Auslauf und abwechslungsreiche Kost. © Achensee Tourismus
Mit der Initiative „Bewusst Tirol“ hebt man zudem jene Betriebe hervor, die nachweislich verstärkt auf Produkte aus der Region setzen, auf artgerechte Tierhaltung Wert legen und mit handwerklichem Geschick regionaltypische Milch-, Fleisch- und Käsespezialitäten herstellen. Schließlich schmeckt es gleich noch viel besser, wenn man mit gutem Gewissen genießen kann.
Dieser Artikel erschien in der Falstaff TRAVEL Ausgabe Tirol Spezial 2024.