Faszination Südtirol: Zurück zum Ursprung
Maximale Vielfalt ohne lange Wegstrecken: Die Wunderwelt der Dolomiten zeigt, welchen Reichtum die Reduktion auf das Wesentliche mit sich bringt. Mondäne Städte wie Meran und Bozen laden zum Flanieren ein – und in der Kulinarik gehen Tradition und Innovation kreative Fusionen ein.
28. August 2023
Erker prägen die Innenstadt von Bozen. © Marlene Mauer
Schroffe Gipfel, die hinter sanften grünen Almen aufragen: Die Gegensätze könnten nicht größer sein als in der einzigartigen Landschaft der Dolomiten. Bei Sonnenuntergang kommt ein kräftiges Orangerot dazu, als stünden die Berge in Flammen; „Burning Dolomites“ nennt man dieses intensive Alpenglühen. Der französische Geologe Déodat de Dolomieu (1750–1801) gab den Dolomiten ihren Namen und klärte auch, woher dieses rätselhafte Leuchten kommt – nämlich vom hohen Magnesiumgehalt im Gestein.
Das Restaurant „Contanima“ im Parkhotel Laurin aus dem Jahr 2021 setzt auf zeitgenössische Küche mit Respekt für die lokale Tradition. Es wird im Oktober 2023 neu eröffnet. © beigestellt
Seit 2009 gehören die Dolomiten zum UNESCO-Welterbe, die imposanten Drei Zinnen sind nur eines von vielen Highlights, die eine Reise nach Südtirol mit sich bringt. Bloß 7.389 Quadratkilometer groß ist die Region – und fühlt sich doch teils wie ein Kontinent an. Drei offizielle Landessprachen werden gesprochen: Deutsch, Italienisch und Ladinisch. 300 Sonnentage im Jahr sind ideal, um den Sommer bis weit in den Herbst zu verlängern. Zur Faszination Südtirol gehört maximale Vielfalt, wie zwei Klimazonen in einer halben Stunde: Vom fruchtbaren Weingebiet am Kalterer See, dem mit 28 Grad wärmsten Badesee Südtirols, schlängelt sich eine Straße auf die Hochplateaus. Nichts ist hier hektisch, Kühe und Schafe grasen gelassen auf satten Wiesen. Nachdem es sich in Bozen manchmal so heiß wie in Süditalien anfühlt, ist man plötzlich in der Sommerfrischezone und kann wieder durchatmen. Auf der Seiser Alm, der größten Hochalm Europas, sind 790 Pflanzenarten zu entdecken.
Extreme Landschaft
Auf Slow-Motion Tour mit dem Fahrrad. © Daniel Geiger
Auch das ist typisch für Südtirol: Urige Bauernhöfe liegen neben stylishen Hotels. Die Infinitypool-Dichte ist groß, Luxusunterkünfte wie das „Alpin Panorama Hotel Hubertus“ setzen architektonisch neue Maßstäbe in Sachen Wellness. In Boutiquehotels wie der „Villa Arnica“ treffen Vintagesofas auf neues Design, im Garten wird angebaut, was auf die Teller kommt. Moderne und Tradition, Brauchtumspflege und Zukunftsdenken wachsen in Südtirol organisch zusammen. Was anderenorts für Spannungen sorgt, geht hier kreative Fusionen ein, ergänzt und inspiriert einander.
Der Pragser Wildsee liegt auf 1500 Meter Meereshöhe – wer es wärmer haben möchte, besucht den Kalterer See. © Harald Wisthaler
Aufbruch und Abschottung lagen in dieser extremen Landschaft zwischen Italien und Österreich schon immer nah beisammen. Im Ersten Weltkrieg wurde das Gebiet erbittert umkämpft, es kam zu einem zermürbenden Stellungskrieg in größter Höhe. Damals bauten die Österreicher ein ausgeklügeltes System an Seilbahnen, die Material auf die Gipfel transportieren sollten – die Dolomiten profitieren noch heute davon, sie sind touristisch bestens erschlossen. Gleichzeitig sind die Einheimischen ein wenig wie ihre Landschaft geblieben: Monolithen, denen nichts ferner liegt, als sich zu verbiegen. Sie sind auf eine fast trotzige Art bescheiden, aber auch enorm gastfreundlich und weltoffen. Lokale Authentizität und Internationalität schließen einander nicht aus. Gerade dieses Spannungsverhältnis macht die Faszination Südtirols aus.
Mondän und Alpin
Die „Villa Arnica“ in Lana, die inmitten von Weingärten liegt, verbindet Vintage mit zeitgenössischem Design. © beigestellt
Die schönste Art, anzureisen, ist mit dem Zug. Wenn sich die Lok vorbei an tiefen Schluchten schleppt, beginnt die Entschleunigung schon unterwegs. In Brennero/Brenner wird ein Halt eingelegt, Gäste steigen kurz aus, um die kühle Luft zu genießen. Kaum zu glauben, dass hier schon in der Römerzeit befestigte Straßen errichtet wurden; im Mittelalter war der Brenner der meist passierte Alpenpass. Feinschmecker, Extrembergsteiger, Jetset-Exzentriker, Thermenfans mit Familie, gemütliche Wanderer, Mountainbiker: In Südtirol ist für jeden etwas dabei. Für Cortina d’Ampezzo, eines der exklusivsten Skiziele Europas, sollte man seine Garderobe upgraden, während es im Bergdorf Corvara eher leger zugeht. Und in Bozen flaniert man von einem Café zum nächsten, genießt italienische Lebensart, die auf Alpinflair trifft – und kann die berühmteste Gletschermumie, den Ötzi, im Archäologiemuseum bestaunen. Meran punktet mit seiner schicken Therme von Matteo Thun und hat nicht nur Kaiserin Sisi als eleganter Kurort begeistert.
Lokale Produkte kommen in der „Villa Arnica“ direkt aus dem Garten auf die Teller. © beigestellt
Mit Knödeln und Spaghetti wirbt der Tourismusverband – in Südtirol ist es fast schon eine Kunst, schlecht essen zu gehen. Die Produkte kommen aus der Region, es gehört zum Stolz der Südtiroler, dass nichts Minderwertiges auf dem Teller landet. Und natürlich auch nicht im Glas: Mit Vernatsch und Lagrein gibt es sogar Rebsorten, die in Südtirol ihren Ursprung haben. Auch bei der Kulinarik gilt „maximale Vielfalt auf engstem Raum“: Das kann eine Brettljause in einer Berghütte oder Fine Dining auf Weltniveau sein. 25 Michelin-Sterne machen Südtirol zur Provinz mit der höchsten Dichte an Sternerestaurants in Italien. Im Trend liegt die ladinische Küche, da sie alte bäuerliche Rezepte wiederbelebt: Jufa, ein Milchpudding-Gericht, isst man am besten direkt aus dem Topf; nach einer langen Wanderung gibt es nichts Köstlicheres als Panicia (Gerstensuppe) oder Cajinci Te Ega (Schlutzkrapfen), die neue Kraft geben.
Felsblock mit Aussicht
Die Seiser Alm ist die größte Hochalm Europas und ein Hotspot, um perfekte Sonnenuntergänge zu erleben. © Andreas Mierswa
Südtirol war schon immer ein Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit. Das ist in der Küche nicht anders als in der Architektur: 348 Hofgebäude stehen unter Denkmalschutz, über 1000 Bergbauernhöfe setzen sich für artenreiche Bergwiesen ein, 20 Prozent der Betriebe halten vom Aussterben bedrohte Rinderrassen. Holz trotzt als natürlicher Rohstoff extremen Witterungen, und nirgends fügen sich Bergmuseen so perfekt in die karge Umgebung ein. Für das Messner Mountain Museum Corones auf dem Gipfelplateau des Kronplatz ließ Stararchitektin Zaha Hadid Betonluken aus der Erde wachsen, die zur Farbe der Felsen passen. Das eigentliche Museum ist wie ein Fuchsbau in den Berg gehauen, als hätte die Natur selbst eine Höhle geschliffen. Auch das Passmuseum am Timmelsjoch ragt wie ein Felsblock in die Berge. Es schlägt nicht nur eine Brücke zwischen Tirol und Südtirol, sondern ist auch ein Selfie-Hotspot. Selbst die grasenden Schafe verstehen es hier, sich malerisch in Szene zu setzen – typisch Südtirol eben.
Schafe vor dem Passmuseum am Timmelsjoch. © Tina Sturzenegger
Nachspeise im „Hotel Castel“. © Annette Sandner
Dieser Artikel erschien in der Falstaff TRAVEL Ausgabe Südtirol Spezial 2023.