Tapas
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Warum Spanien für Genießer immer eine Reise wert ist

Von experimentierfreudiger Cuisine in Madrid über kleine Köstlichkeiten in San Sebastián bis hin zu überragender Fischküche in Cádiz: Spanien ist ein wahres Paradies für Genießer.

22. Mai 2023


Ein Tapas-Trip durch Spanien

Restaurante Media Manga © beigestellt

Die Welt ist nicht die gleiche vor und nach einem Besuch im „El Corral de la Morería“ – das müssen Gäste wissen, bevor sie sich in dieses mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Restaurant im Zentrum von Madrid begeben. Ungefähr so muss sich ein Raketenstart anfühlen, wenn die Regler von null auf hundert geschoben werden; nur dass ein Besuch im „Corral“ die Gäste nicht ins Weltall katapultiert, sondern ins Herz Spaniens. Nach fünf Stunden in diesem Restaurant, nach neun komplexen Gängen, nach einer atemberaubenden Sherrybegleitung und einem Flamenco-­Konzert der obersten Kategorie ist man definitiv im iberischen Genusshimmel angekommen.

Paco Roncero Restaurante © KlunderBie

Es hat seinen Grund, weshalb im 1956 eröffneten „Corral“ etliche A-Promis zu Gast waren, von denen mit Fotos gepflasterte Wände zeugen: Ronald Reagan und die Rolling Stones, Salvador Dalí und Che Guevara, Nicole Kidman und Justin Bieber. Neben dem herausragenden Gourmeterlebnis – allein 1200 Sherrys lagern im Weinkeller – hatten sie vermutlich eines im Sinn: eine Idee der spanischen Lebensart zu bekommen; Sinnlichkeit, Stolz, ein Schuss Unvernunft.

Tapas

"StreetXO" von David Muñoz © picturedesk

Für diskrete Nordeuropäer wirkt es mal wie eine Offenbarung, mal wie eine Zumutung, was Spanien den Sinnen bietet. Immer etwas rauer und ungestümer als das Vorzeige-Sehnsuchtsland Italien, häufig im Schatten des prototypischen Gourmetziels Frankreich. Was für ein Unrecht! Denn auch, wenn die spanische Haute Cuisine seit dem Hype um Ferran Adrià wohl nie wieder so viel Aufmerksamkeit bekommen hat, gibt es da so viele Küchenchefs, die man sich unbedingt merken muss, angefangen beim Madrilen David Muñoz über den Valencianer Quique Dacosta und viele, viele weitere.

Spektakuläres im königlichen Madrid

Corral

Corral de la Moreria © beigestellt

Für eine Annäherung bietet sich Madrid als Ausgangspunkt an – die wichtigste Stadt im Zentralstaat Spanien: prunkvoll und reich, mit den mächtigen klassizistischen Gebäuden ein Gegenentwurf zum mediterran geprägten Barcelona. Die Hauptstadt versammelt die Küchen aller Regionen des Landes und zieht internationale Gourmets mit diversen Spitzenrestaurants an; mit jenem von Paco Roncero etwa, der in seinem gleichnamigen Zwei-Sterne-Restaurant in einem Palast aus dem 19. Jahrhundert residiert und geschmackliche Kindheitserinnerungen neu interpretiert. Der kulinarische Star der Hauptstadt und einer der wichtigsten Köche des Landes heißt David Muñoz Rosillo. Charakteristisch für Madrids einzigen Drei-SterneKoch ist sein Irokesenschnitt. Das quietschbunt eingerichtete „DiverXO“ (gesprochen: Divertscho) gilt als das spektakulärste Restaurant des Landes und ist ständig ausgebucht. Das Essen hier balanciert auf dem Grat zwischen Kunstperformance und Kulinarik – wer sich traut, bekommt einen waghalsigen Ritt durch Texturen und Aromen geboten: Lammhirn und Stierschwanzsandwich, gefrorenen Salat, galizischen Hummer nach indischer Art und etliche weitere Gänge, die Besuchern zufolge als einmaliges Erlebnis zu charakterisieren sind, häufig fernöstlich angehaucht.

David Muñoz© Adriaan Van Looy All Rights Reserved

„Ich will für meine Gäste das beste Restaurant der Welt sein“, sagte Muñoz einmal gegenüber der spanischen Zeitung „El País“. Und auch, wenn er häufig wirkt wie eine hyperselbstbewusste, überreizte Kunstfigur, überraschte der Kochstar auf der Messe Madrid Fusión mit einem Blick in sein Innerstes: „Ich bin oft gefallen, ich bin oft gescheitert. Es geht immer darum, wieder aufzustehen.“

Diverxo © beigestellt

Das bekommt Muñoz offenkundig gut hin – im gehobenen Madrider Viertel Salamanca befindet sich seine zweite Bühne: Das deutlich günstigere „StreetXO“ ist so beliebt, dass man fast immer eine Warteschlange in Kauf nehmen muss. Ein Dutzend Köche bereiten Auge in Auge mit den Gästen kleine Gerichte zu, die köstlich schmecken und bisweilen wie kleine Gemälde aussehen. Wer lärmempfindlich ist, sollte das Restaurant allerdings meiden; alle anderen kommen hier in den Genuss einer exaltierten Präsentation von gutem Essen.

Bars an jeder Ecke

So wild geht es in Madrid aber nicht immer zu. Man kann auch entspannt in eine Weinbar wie in das angesagte „Caníbal“ gehen, wo es hervorragende Naturweine gibt. Übrigens ist nirgendwo sonst auf der Welt die Dichte an Bars so hoch wie auf der Iberischen Halbinsel, allein Andalusien verfügt über mehr Bars als Irland, Dänemark, Finnland und Norwegen zusammen – wobei „Bar“ im mediterranen Sinn verstanden wird, diese öffnet also meist schon am Vormittag oder Morgen zum Frühstück. In diesem Punkt sind Südeuropäer anspruchslos, meist reichen ein Kaffee und ein Croissant aus, mehr als zehn Minuten verwenden die wenigsten auf die erste Mahlzeit des Tages – was auch mit dem kulinarischen Schlusspunkt des Tages zu tun hat, der häufig nicht vor 22 Uhr abends eingenommen wird. Kaum ein anderes Volk in Europa isst so spät wie die Spanier. 

Lasarte

Restaurant "Lasarte" in Barcelona © beigestellt

Die fast vier Jahrzehnte währende Diktatur hat Narben im Land hinterlassen. Schon vor Franco war die Gesellschaft gespalten in eine – vereinfacht gesagt – urban-progressive und eine klerikal-konservative Richtung. Der Dichter Antonio Machado prägte den Ausdruck der „Zwei Spanien“, der seine traurige Kulmination im Spanischen Bürgerkrieg fand. Die Franco-Diktatur wurde nie aufgearbeitet, Spanien als Nation ist nach wie vor ein heikles politisches Thema. Die Bemühungen einzelner Regionen um Unabhängigkeit sind nur teilweise befriedet (Baskenland), anderswo sind sie nach wie vor sehr präsent (Katalonien).

Restaurant "Lasarte" in Barcelona © beigestellt

Der Zusammenhalt des Landes entsteht nicht so sehr durch ein Nationalgefühl, sondern durch gemeinsame Interessen. Womit sich alle Spanier identifizieren können, egal ob aus Andalusien, Katalonien oder Kastilien, ist die Liebe zum Essen und Trinken. „Spaniens Nationalfeiertag“, so schrieb das Magazin „Directo al Paladar“ einst, sei „der Aperitif“. Die soziale Komponente, das Miteinander, ist dabei fast wichtiger als der Konsum selbst. Austausch, Tratsch, Geschichten; zweifellos macht das bei einem Glas Wein und einer Krokette doppelt so viel Spaß wie ohne.

Wenn sich ab 18 oder 19 Uhr die Bars füllen, dann beginnt die Tapas-Zeit. Und auch, wenn es verlockt: Anders als begeisterte Besucher haben Spanier das Abendessen noch im Hinterkopf. Man isst sich nicht satt, sondern beschränkt sich auf ein Glas Wein oder eine Caña, ein gezapftes Bier, dazu eine Tapita; das kann ein Pincho moruno sein, ein saftiger Spieß mit Rindfleisch, ein Stück Tortilla, die überall ein wenig anders schmeckt, oder eine Ensaladillan rusa, ein mit Mayonnaise verfeinerter Kartoffelsalat, der aufgrund des russischen Angriffskriegs vielerorts in Ensaladilla ucraina umbenannt wurde.

San Sebastián © Shutterstock

Ein bis zwei Dutzend Tapas gehören zum Grundsortiment, das man überall im Land bekommt. Neben dieser Basisqualität tun sich mancherorts Bars hervor, die selbst anspruchsvolle Gourmets verstummen lassen, etwa wenn sich ein Tresen unter Schalen und Schüsseln voller kleiner Kunstwerke zu biegen scheint, beispielsweise im „Ganbara“ in San Sebastián. Die traditionsreiche Bar zählt zu den Favoriten eines der größten spanischen Köche, Juan Mari Arzak. Nicht Tapas, sondern „Pintxos“ heißen die kleinen Tellergerichte in diesem Teil des Landes – und man bekommt hier wirklich die besten Weine dazu. Auch die Bar „Gran Sol“ im nahe gelegenen Hondarribia unweit der französischen Grenze hat bereits etliche Preise gewonnen; für Kreationen wie etwa Foie gras mit karamellisiertem Käse, konzentriertem Most und Senf à l’ancienne.

Das Baskenland war und ist ein Motor für die kulinarische Entwicklung des Landes. Eines der wohl bekanntesten Fischgerichte Spaniens kommt von hier: Bacalao al Pil Pil, für das Stockfisch mit gebratenem Knoblauch belegt und mit emulsioniertem Olivenöl übergossen wird. So simpel, aber so gut, wie jeder bestätigen wird, der einmal in den Genuss gekommen ist. Die stetige Rivalität zum nahen Frankreich beflügelte die Köche – und immer auch die Sorge, im Schatten des großen Nachbarn zu stehen. 

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Bis heute bleibt San Sebastián (baskisch Donostia) eines der wichtigsten Zentren für die Hochküche. Allein elf Sternerestaurants finden sich in der Stadt selbst, dazu kommen noch etliche weitere in der näheren Umgebung. Der Großmeister der spanischen Köche ist ebenfalls Baske: Martín Berasategui ist mit gleich zwei Restaurants im „Guide Michelin“ vertreten; eines mit seinem Namen im Baskenland, das andere („Lasarte“) in Barcelona.

Koch-Elite im Nordosten

Quique Dacosta © beigestellt

Katalonien, die autonome Region mit dem Zentrum Barcelona, ist ein weiteres Kraftzentrum der Spitzenküche des Landes. Fast ein Viertel aller spanischen Sternerestaurants (49 von 228) befindet sich in der Region im Nordosten Spaniens – Aushängeschild vor allem für ein gut betuchtes internationales Publikum sind die Roca-Brüder Jordi, Joan und Josep, die mit ihrem dreifach besternten „El Celler de Can Roca“ in Girona fast alle Gourmetpreise gewonnen haben und zweimal an der Spitze der Liste „World’s 50 Best“ standen. Hierzulande nicht so bekannt, aber nicht weniger gut ist das „ABaC“, wo Jordi Cruz extrem komplexe Gerichte entwickelt.

"Quique Dacosta" Restaurant in Dénia © beigestellt

Die momentan sicher angesagteste Region innerhalb Spaniens befindet sich aber weiter südlich. Das touristisch beliebte, aber wirtschaftlich schwache Andalusien fasziniert Besucher nicht nur des maurischen Erbes wegen, auch die Küche entwickelt sich seit einiger Zeit rasant weiter. Ihr prominentester, alles überstrahlender Vertreter Ángel León mit seinem Drei-Sterne-Restaurant „Aponiente“ in der Provinz Cádiz legt sein Augenmerk vor allem auf die Fischküche. Er geht sogar so weit, in speziellen Tanks sein eigenes Plankton zu züchten, um daraus Lebensmittel zu entwickeln. Auch unterhalb des absoluten Top-Niveaus, etwa im „Bardal“ mit Benito Gómez in Málaga oder im hochgelobten familiengeführten „Mesón Sabor Andaluz“ in Alcalá del Valle, tut sich geschmacklich einiges. Pedro Aguilera, der junge Koch des „Mesón“, wurde auf der Messe Madrid Fusión als größte Entdeckung ausgezeichnet.

Quique Dacostas 3-Sterne-Restaurant © Pelut i Pelat

Denn das muss bei allem Lobgesang auf die so kreative wie vielseitige Hochküche Spaniens auch gesagt werden: Sie existiert nur deshalb, weil die stolzen spanischen Regionen ein solides Fundament legen – mit dem ewig unerreichten Jamón Ibérico de Bellota, einer Käsevielfalt, die von Kastilien bis zu den Balearischen Inseln reicht (Mahón-Menorca!), und Spezialitäten wie der Paella valenciana (übrigens authentisch mit Kaninchen und Hühnchen, ohne Seafood!) oder dem madrilenischen Kichererbseneintopf Cocido; vom reinsortigen Olivenöl aus der Extremadura und Andalusien gar nicht zu sprechen. Continuará!

Text: Philipp Elsbrock

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