Paris: Sehnsuchtsort an der Seine
Kaum eine Stadt hat einen so guten Ruf wie Paris: Sie ist ein Sehnsuchtsort voller urbaner Mythen, in dem Liebe, Schönheit und Genuss die Hauptrollen spielen. Doch hat Paris auch Sportsgeist? Die Olympischen Spiele werden es im Juli zeigen – und Frankreichs Metropole macht sich fit für das erhoffte Sommermärchen.
14. Mai 2024
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Stadt der Lichter, Stadt der Liebe, Stadt des Luxus – erst letztes Jahr hat Paris mit 37 Millionen Besuchern wieder die Goldmedaille als beliebteste touristische Destination gewonnen. Jetzt trainiert die Stadt für den nächsten Titel: Die Metropole will die „grünsten“ Olympischen Spiele der Geschichte veranstalten. Statt die historische Innenstadt dafür weiter zuzubetonieren, werden die Wahrzeichen der Stadt temporär zu Sportstätten umfunktioniert. Etwa das Marsfeld beim Eiffelturm, die Brücke Alexandre III, der Invalidendom oder die Place de la Concorde. Unter dem Glasdach des bis dahin teilrenovierten Grand Palais finden die Wettkämpfe in Taekwondo und Fechten statt. Die gesäuberte Seine, auf der die Eröffnungsfeier ausgerichtet wird, soll ab 2025 zum Schwimmen freigegeben werden. Von den einzigen zwei Großbauprojekten bekommt der gewöhnliche Paris-Besucher sowieso nichts mit, weil sie außerhalb des Stadtrings liegen: Das Olympische Dorf für 10.500 Sportler und die neue Arena Nord befinden sich in sogenannten Brennpunktvierteln, die bisher eher gemieden wurden.
Rauf auf den Sattel
© Benjamin Rosemberg
Baustellen und Staus gehören trotzdem zum Leidwesen in der Stadt; vornehmlich, weil Paris im Eiltempo zu einer Fahrradstadt ausgebaut wird. 480 Kilometer Velo-Pisten sollen es bis Sommer werden. Im Auto oder Taxi kriecht man tagsüber derzeit ohnehin nur mit rund 10 Kilometern pro Stunde voran. Wer Paris jetzt besucht, sollte es besser sportlich nehmen – und aufs Fahrrad umsteigen. Das gilt besonders zur Rushhour, wenn auch die Metros zum Bersten voll sind. Leih-E-Räder gibt es überall, und Vélib mit seinen 1400 Stationen ist mit einem Tagesticket ab zehn Euro die günstigste Variante. Auf den meisten der großen Verkehrsachsen sind bereits Radwege installiert, die das Radeln viel sicherer machen. Die Shoppingmeile Rue de Rivoli ist sogar zu einem mehrspurigen Velo-Highway geworden – nur Busse und Taxis dürfen hier noch passieren. Die Uferstraßen der Seine sind mittlerweile zu großen Teilen für den Autoverkehr gesperrt, sodass man auch ungestört direkt am Wasser radeln kann.
Das neue Colette
© Matthieu Salvaing
Das Palais Royal ist mit seinem Innengarten nicht nur eine Oase der Ruhe, in seinen Arkadengängen sind auch diverse Edelboutiquen zu Hause. Neben dem Luxusmode-Secondhand-Store von Didier Ludot neuerdings auch Rianna + Nina, Gute-Laune-Mode made in Berlin. Mit ihren farbenfrohen Slow-Fashion-Stücken, die so leicht zu tragen sind wie Ferien, sind sie der neue Darling der Stars, zu sehen Serien wie „Emily in Paris“ bis „And Just Like That“. Ihre Signature-Pieces: die edlen und nachhaltigen Kimono-Einzelstücke aus Vintage-Stoffresten. Von dort ist es zu Fuß nicht weit zum Belle-Époque-Kaufhaus La Samaritaine an der Pont Neuf, das nach 16 Jahren Renovierungszeit nun unter der Führung von LVMH steht. Der jüngere Art-déco-Flügel beherbergt jetzt das Hotel „Cheval Blanc“ – eine Preisklasse oberhalb des Luxus.
© wonguy
Colette ist tot – Es lebe Modes: Auch nahe dem Luxusboulevard Champs-Élysées gibt es interessante Neuzugänge. Nach seinen erfolgreichen italienischen Concept-Stores ist der Modeguru Aldo Carpinteri nun auch in Paris zu Hause: Hier geht man heute hin, um die neuesten Designer zu entdecken. Gleich nebenan befinden sich das ebenfalls post-pandemisch neu eröffnete Stammhaus von Dior in der Avenue Montaigne und das absolut sehenswerte Modemuseum des Traumschneiders, die Galerie Dior. Ein Flaniernachmittag in den engen Straßen des historischen Viertels Marais gehört nach wie vor zum Pflichtprogramm. Im „Hôtel de Coulanges“ (ein prachtvolles Stadtpalais aus dem Barock) eröffnet diesen Frühling ein neuer Mode-, Kunst- und Event-Tempel, Dover Street Market. Dahinter stecken die japanische Modedesignerin Rei Kawakubo (Comme des Garçons) und ihr Mann Adrian Joffe, die das Erfolgskonzept vor 20 Jahren in London starteten.
© Dominique MAITRE
Die französische Küche ist Weltkulturerbe, und besonders die Pariser sind Genießer. Die rund 15.000 Restaurants der Stadt sind sowohl mittags als auch abends stets gut besucht – jede Küche der Welt findet sich hier in jeder Qualität und Preisklasse. Die fast in Vergessenheit geratenen „Bouillons“, die früheren Kantinen der Arbeiter, erleben in Zeiten der Hochinflation eine schillernde Renaissance. Nicht nur Brühen (Bouillons) werden hier serviert, sondern preiswerte französische Hausmannskost: Steak frites, Würstchen mit Kartoffelpüree, Lauch in Essig. Vorspeisen und Desserts gibt es für unter fünf, Hauptspeisen ab zehn Euro. Von Montmartre bis Montparnasse eröffnen neue im Monatstakt; das schönste ist „Bouillon Julien“, eine Jugendstilperle von 1906. Hier muss man auch nicht Schlange stehen für einen Tisch, sondern kann reservieren.
© Alexis Raimbault
Was der Jeunesse dorée früher die Clubs waren, sind heute Restaurants, wo sich Club- und Tischkultur mischen. Die mit den besten Rooftops und Terrassen gehören heute fast alle dem Gastro-Imperium Paris Society: Vom legendären „Maxim’s“ bis zu „Bonnie“ an der Seine, wo man im 15. und 16. Stock Jakobsmuscheln, Pasta und Drinks mit Aussicht, Vertigo-Thrill und Spiegelkunst von Ólafur Elíasson genießen kann. Auch das Fellini-haft ausgestattete „Il Bambini Club“ am Palais de Tokyo bringt verwöhnte große Kinder zum Staunen.
Paris Blüht auf
© wonguy
Kaum eine Stadt hat eine solche Dichte von Kunst- und Kulturangeboten wie Paris. Die immersive, spektakuläre Modeausstellung über Iris van Herpen im MAD Paris ist eines der Highlights dieses Frühlings. Schauspielerin Charlotte Gainsbourg hat kürzlich das Privathaus ihrer Eltern, Jane Birkin und Serge Gainsbourg, zur Besichtigung freigegeben. In der Maison Gainsbourg ist alles so geblieben, wie es war, als er starb, inklusive der Zigarettenstummel im Aschenbecher. Die „Gainsbarre“, eine Mischung aus Café-Restaurant und Pianobar sowie ein Museum gehören dazu.
© Jerome Galland
Das neue, grüne Paris sprießt nirgends üppiger als auf dem Dach des Messegeländes an der Porte de Versailles. Dort befindet sich das NU Paris, mit 15.000 Quadratmetern die größte urbane Farm Europas, die jetzt im Frühling in voller Blüte steht. Beim Lunch auf der Terrasse des Restaurants „Le Perchoir“ kann man den Gurken, Tomaten, Salaten oder Erdbeeren beim Wachsen zuschauen. Möge Paris ein sportliches Sommermärchen erleben – die Stadt hätte es sich wirklich verdient!
Dieser Artikel erschien in der Falstaff TRAVEL Ausgabe Frühling 2024.