Korsika: Ein Kaleidoskop an europäischen Landschaften
Wo trotzige Bergbauern auf weltmännische Hoteliers und bescheidene Fischer auf überraschte Gäste treffen...
22. Juli 2021
Mal Schottland, dann wieder Sardinien und dazwischen immer wieder Côte d’Azur: Die Mittelmeerinsel Korsika ist ein Kaleidoskop an europäischen Landschaften und ein Schmelztiegel der Kulturen. Hier treffen trotzige Bergbauern auf weltmännische Hoteliers und bescheidene Fischer auf überraschte Gäste.
Vielfältig und einzigartig
Sie ist weder sexy noch glamourös: Korsika, die viertgrößte Mittelmeerinsel, wartet mit wenigen Attributen auf, die ihre „Kolleginnen“ Sardinien und Mallorca für sich beanspruchen und die diese für viele Gäste so attraktiv machen. Und dennoch: Wer einmal hierher reist, der kommt immer wieder. Das besagt nicht nur ein korsisches Sprichwort, sondern bescheinigt auch die Realität.
Einsame Buchten treffen auf wilde Hochtäler, üppige Vegetation auf kahle Hänge, pulsierende Städte am Meer auf ausgestorbene Nester in den Bergen. All das ist Korsika. Die einen kommen zum Wandern, viele Familien zum Campen, andere segeln von einer abgeschiedenen Bucht zur nächsten und wieder andere kommen als Entdecker – auf eine Insel, die auch 2021 noch viele ungeahnte Überraschungen zu bieten hat.
Geliebt und gelebt
Das liegt wohl auch an der Geschichte der Insel. Ihr Name, der laut gängiger Meinung auf die Phönizier zurückgeht, bedeutet so viel wie „mit Wäldern bedeckt“ und erzählt viel von der Beschaffenheit der Insel, die heute zu Frankreich gehört, aber stets ihre Eigenwilligkeiten behielt – in der europäischen Geschichte wie in der französischen. Dazu gehört etwa der Umstand, dass die Korsen 1755 ihre Unabhängigkeit von Genua und in Folge die erste Demokratie der Neuzeit ausriefen – weit vor Frankreich, zu dem Korsika mit kurzer Unterbrechung seit 1769 gehört und das sich bis heute unter den Einwohnern keineswegs besonderer Beliebtheit erfreut.
Die unsichere Situation hat viele Jahre Touristen davon abgehalten, in Strömen über die Insel herzufallen, erst Ende der 1990er-Jahre tröpfelten die Gäste ein. Heute versucht Korsika nachzuholen, was geht, aber gerade das Versäumnis der letzten Jahre macht den besonderen Reiz aus: Massentourismus ist hier ein Fremdwort, die „Balearisierung“ ein Begriff, den man kennt – und ein Status, dem man vehement entgegenwirkt.
Vom Wandern und Bergsteigen
Ende der 1990er-Jahre kamen vor allem Camper, deren Plätze bis heute viele schöne Strände dominieren und das Ambiente der Insel prägen – sie und Sportler. Zweitere Gruppe kommt im bergigen Landesinneren voll auf ihre Kosten; damals, als touristische Expeditionsteilnehmer, wie auch heute, wo Wandern plötzlich Mainstream und ein Lifestylekonzept ist. Denn prinzipiell hat sich im Landesinneren wenig verändert: Die Dörfer sind nach wie vor wie ausgestorben, in der trägen Mittagssonne trinkt man mit den Alten am Marktplatz Pastis wie wohl schon vor 100 Jahren; die Kiefernwälder duften betörend und die Wildschweine begleiten einen auf Schritt und Tritt.
Das durchaus auch ganz wörtlich: Manch ein Wanderer hatte schon Schwein und wurde von einem ebensolchen durch unwegsames Gelände geleitet, andere hatten weniger Glück und mussten stundenlang auf einer Landstraße pausieren, weil die Tierchen just in diesem Augenblick dort ihr Sonnenbad nahmen. Leben und leben lassen! In Korsika ticken die Uhren anders, es läuft alles deutlich gemächlicher ab als am französischen Festland oder den anderen Mittelmeerinseln. Schicke Beachclubs à la „Club 55“ oder „Nikki Beach“ findet man hier genauso wenig wie luxuriöse Shoppingmeilen, dafür viel atemberaubende Natur. Einige Yachten verirren sich vom nahen Sardinien dennoch hierher und ankern im Naturhafen von Bonifacio, der per se schon spektakulär ist. Für Yachtler mag es der erste Stopp auf der Insel sein, für viele andere einer der letzten.
Ein Insel-Fahrplan
Um die Insel und ihre Vielfältigkeit nur ansatzweise kennenzulernen, sollte man mindestens zwei Wochen und viele Zwischenstopps einplanen. Da bietet es sich zuerst an, den Norden der Insel, das Cap Corse, zu befahren, und von dort weiter in den entzückenden Ferienort Saint-Florent. Er ist das Zentrum der Region Nebbio, einer fruchtbaren Gegend zwischen dem Cap Corse und der Désert des Agriates, die mit ihren unberührten Stränden zu ausgedehnten Kajakfahrten einlädt. Auch Korsikas bekanntestes Weinbaugebiet – das Patrimonio – befindet sich hier, und wer den Genuss der Aktivität vorzieht, darf sich hier reichlich an spannenden Weinen verlustieren, um gestärkt die Weiterreise anzutreten.
Von dort geht es nämlich weiter in die Balagne, die auch „Garten Korsikas“ genannt wird und deren Epizentrum das Städtchen Calvi ist – besonders erwähnenswert ob seines Charmes. Sobald man Calvi allerdings hinter sich lässt und die Straße nach Porto einschlägt, bekommt man einen Vorgeschmack auf das wilde, ursprüngliche Korsika: Die Bergstraßen werden eng, die Hänge steil, und man kann sich kaum vorstellen, dass hier die Tour de Corse, der französische Lauf der Rallye-Weltmeisterschaft, stattfindet, während man sich im Schritttempo vorwärtsbewegt. Angekommen in Porto kann man sich entscheiden, ob man die Küstenstraße weiterfährt über die Calanches Richtung Hauptstadt Ajaccio, oder sich landeinwärts schlägt, über die Dörfer Ota und Evisa, die ihre alten italienischen Bezeichnungen bis heute tragen, Richtung Corte, der alten Hauptstadt.
Porto selbst, der Hauptort des Golfs von Porto, geizt ebenfalls nicht mit Reizen: Vorne am Meer auf einem roten Felsen thront ein malerischer Genueserturm, dahinter breitet sich ein Badestrand aus, an dessen Ufer Kieselsteine in allen Farben glitzern. Überhaupt gilt: diese Farben! Die roten Granitfelsen fallen steil und so pompös ins azurblaue Meer ab, dass man sich kaum sattsehen kann an dieser Schönheit. Wählt man die Strecke nach Corte und von dort Richtung Süden, ändert sich das Landschaftsbild schnell: Majestätische Kiefernwälder und ehrwürdige Kastanienbäume säumen den Weg. Dann wird das Gebirge schroffer und die Berge werden höher. Irgendwann überwindet man sogar einen Pass, der in seiner alpinen Ausprägung doch sehr überrascht. Es lohnt sich, anzuhalten und den Weg in kleine Täler einzuschlagen. Die berühmten Gumpen, natürliche Bachpools, locken auf der ganzen Strecke mit einem Sprung ins kühle Nass.
Besonders beliebt ist das wildromantische Restonicatal, ein besonderes Highlight Korsikas, das man nicht versäumen darf. Wenn dem doch so ist: Nicht weiter tragisch, Korsika überrascht nach jeder Wegzweigung mit einem neuen Naturschauspiel. Nur eines darf man definitiv nicht verpassen: Bonifacio!
Destination: Himmel auf Erden
Ab dem Städtchen Porto-Vecchio überwiegen pittoreske Buchten mit einladenden Hotels. Dort kann man in Ruhe das karibisch anmutende Meer genießen, und es ist nicht mehr weit nach Bonifacio; eine Stadt, die auf der Liste jedes Travel Lovers ganz oben rangieren sollte. Die auf einem halbinselartigen Felsplateau gelegene Altstadt von Bonifacio ist tatsächlich eine der eindrucksvollsten im Mittelmeerraum. Die Häuser fallen steil in die Klippen ab, und wer einen Restaurantplatz mit Aussicht ergattert, sollte definitiv schwindelfrei sein. Um in die Altstadt zu kommen, deren enge, kopfsteingepflasterte Straßen von vier- bis fünfstöckigen Häusern gesäumt werden, muss man über eine Zugbrücke und einen im Zickzack angelegten Weg zur Zitadelle emporklettern.
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Dieser Artikel erschien in der Falstaff TRAVEL Ausgabe Sommer 2021.