Die Magie von Al-Ula
Durch die saudi-arabische Oase führte einst die Weihrauchstraße, eine der ältesten Handelsrouten der Welt. Noch heute zeugen faszinierende Felsengräber von ihrer reichen Geschichte. Dazu gesellen sich seit Kurzem architektonische Meisterwerke, exklusive Resorts und ein hochkarätiges Unterhaltungsprogramm. Und das Beste: Al-Ula ist aktuell noch ein Geheimtipp.
8. Dezember 2023
© Tanveer Badal Photography / TANVEERBADAL.COM
Man kommt aus dem Staunen nicht heraus: Wie eine Fata Morgana thront ein gigantischer Felsbrocken mitten in der Wüste. Erst auf den zweiten Blick sieht man, dass der Sandstein bearbeitet wurde – das surreale Gebilde hat einen Eingang. „Qasr al-Farid“ („das einsame Schloss“) heißt es. Es sollte die letzte Ruhestätte eines reichen Nabatäers werden – jenes Beduinenvolk, das auch die berühmten Felsengräber in Jordanien geschaffen hat. Doch während sich in Petra Touristenmassen durch die Sehenswürdigkeit schieben, ist man in der Ausgrabungsstätte Hegra, Saudi-Arabiens erster UNESCO-Weltkulturerbestätte, weitgehend allein. Am magischsten fühlt es sich an, wenn die Sonne untergeht und die Felsen feuerrot leuchten.
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130 Gräber wurden bisher gefunden, ein Ende ist nicht abzusehen; für Archäologen ist Al-Ula eine Schatzkammer. Als Tourist weiß man nicht, worüber man mehr staunen soll: über die unglaublich gut erhaltenen Ausgrabungen (es wirkt fast so, als ob die legendäre Weihrauchstraße, eine der ältesten Handelsrouten der Welt, nach wie vor genutzt würde) – oder über die vielen auch weiblichen Guides, die selbstbewusst erzählen, welche Businesspläne sie haben. In Saudi-Arabien, einem Land, das von der restlichen Welt lange abgeschottet war, würde man das nicht erwarten. Erst seit Ende 2019 gibt es in dem Königreich überhaupt Touristenvisa für Nichtmuslime. Kronprinz Mohammed bin Salman möchte das Land mit seinem milliardenschweren Großprojekt „Vision 2030“ neu erfinden und jenseits des Ölgeschäfts für alternative Einnahmequellen sorgen.
Neue Freiheit
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So werden Frauen viele Rechte eingeräumt: Sie müssen keinen Hijab mehr tragen, können Firmen gründen. Man merkt gerade bei jungen Saudis, wie sehr sie diese Aufbruchsstimmung begrüßen – und Auslandsstipendien nutzen, die großzügig vergeben werden. Al-Ula ist auch für Einheimische eine Entdeckung: Immer wieder begegnet man hier Besuchern aus der Hauptstadt Riad, die von der reichen Kultur ihres eigenen Landes überrascht sind, die weit vor der Zeitrechnung des Koran begann. Noch vor einigen Jahren haben die Menschen in Al-Ula rund um die beeindruckenden Felsformationen wie etwa den Elephant Rock Hasen gejagt – heute steht hier ein stylishes Café.
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Saudi-Arabien erfindet sich gerade neu, das Tempo des Wandels ist atemberaubend. Dennoch hinken manche Gesetze etwas hinterher: Öffentliche Kritik am Königshaus ist in Saudi-Arabien nach wie vor lebensgefährlich. Gelassen und höflich begegnen die Einheimischen jedoch den Touristen – man ist stolz, dass die eigene, gerade erst erforschte Geschichte so viele andere interessiert. Ein Visum lässt sich leicht online buchen, für die Ausgrabungsstätten sollte man hingegen vorher Slots reservieren. Es herrscht wenig Verkehr, selbst mit dem Auto unterwegs zu sein ist keine große Herausforderung. Werbungen gibt es in Saudi-Arabien keine, auch deshalb kommt die malerische Wüstenlandschaft mit ihren Felsenformationen noch besser zur Geltung.
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Das Königreich hat von den Fehlern seiner Nachbarländer gelernt – man setzt nicht auf Massentourismus, sondern möchte ein Ziel für Individualisten werden, die sich für Kultur und Geschichte interessieren. Die Hotels sind hochpreisig, aber bieten Luxus, den man woanders kaum bekommt. Sie fügen sich perfekt in die Landschaft ein, und haben Pools, die unwirklich erscheinen, wenn sich die Felsen und die Wüste in ihnen widerspiegeln. In Sachen zeitgenössischer Architektur setzt man auf Außergewöhnliches: Eines der Wahrzeichen ist die Maraya-Konzerthalle, das weltgrößte verspiegelte Gebäude; sie wird auch regelmäßig für Ausstellungen genutzt. Im Naturreservat Al-Gharameel leuchten die Sterne besonders hell, weil es kaum Lichtverschmutzung gibt. Bereits die Fahrt in der Abenddämmerung ist ein Abenteuer; die Felsen wirken wie Skulpturen. Je länger man sie ansieht, desto mehr erwachen sie zum Leben: Ist das nicht eine Frau, die sich umdreht? Oder dort ein Vogelkopf? Ein Drache?
Schicke Restaurants
© Tanveer Badal Photography / TANVEERBADAL.COM
Die Liste an möglichen Aktivitäten ist in Al-Ula lang: eine Ballonfahrt über die Ausgrabungsstätten im Morgengrauen, ein Spaziergang durch eine Oase; die Ausgrabungen in Daran, der lange verloren geglaubten Hauptstadt des antiken Reichs Lihyan, das bereits im Alten Testament erwähnt wurde. Oder die „Freilichtbibliothek“ Jabal Ikmah, deren Felszeichnungen historisches Alltagsleben zeigen – über 300 Bilder und Inschriften gibt es zu entdecken, der Ort wurde erst jüngst zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Überhaupt ist der Veranstaltungskalender prall gefüllt: Ob Wellness-, Musik- oder „Ancient Kingdoms“-Festival, Poloturnier oder Laufevent, es gibt immer etwas zu tun.
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Auch einzigartig ist in Al-Ula, wie eine innovative Zukunft auf eine reiche Vergangenheit trifft. In einem der schicken neuen Lokale (wie dem „Somewhere“) fühlt man sich wie in Los Angeles, Touristen und Einheimische genießen gleichermaßen den Hipness-Faktor dieses Orts. Wenige Meter entfernt taucht man in das Labyrinth von Old Town Al-Ula ein, dessen historische Lehmarchitektur gerade renoviert wird. Halb verfallene Häuser stehen neben Shops; man kann sich gut vorstellen, wie man vor Tausenden von Jahren hier gelebt hat.
Für den letzten Abend bietet sich das „Okto“ an, ein angesagtes Restaurant, das auf einem Aussichtspunkt liegt, von dem man einen Panoramablick hat. Sobald es dunkel wird, gibt es Livemusik. Manchmal reist DJ Hannah aus Riad an – und bringt die Crowd zum Tanzen. Ihr Eröffnungssong? Die Gay-Liberation-Hymne „I will survive“ von Gloria Gaynor. Saudi-Arabien ist immer für eine Überraschung gut.
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Dieser Artikel erschien in der Falstaff TRAVEL Ausgabe Herbst 2023.